So können Sie Widerspruch einlegen
Der Pflegegrad ist aus Ihrer Sicht zu niedrig, aberkannt oder nicht anerkannt worden? Die Kasse hat ein Hilfsmittel nicht bewilligt? Oft entscheiden die Kassen anders, als Sie es für richtig halten. In vielen Fällen lohnt sich dann ein Widerspruch. Bei den gesetzlich Versicherten läuft das so ab:
1. Verstehen Sie den Bescheid
Die Kassen müssen mitteilen, warum sie eine Leistung ablehnen. Lesen Sie den Bescheid genau durch: Nur wenn sie ihn verstehen, können Sie darauf mit Argumenten reagieren.
Geht es um einen Pflegegrad, bekommen Sie das MD-Gutachten mit dem Bescheid zugeschickt. Dazu ist die Pflegekasse verpflichtet, wenn Sie nicht ausdrücklich widersprochen haben. Sollten Sie nichts erhalten haben, können Sie das Gutachten auch anfordern. Lassen Sie sich beraten: Beim Widerspruch helfen etwa die Unabhängige Patientenberatung und Sozialverbände wie der VdK oder der Sozialverband Deutschland, oder auch Rechtsanwälte mit Schwerpunkt Sozialrecht.
2. Schnell reagieren
Der Widerspruch ist für Sie kostenlos. Aber: Sie haben nur einen Monat Zeit dafür. Die Begründung können Sie später nachliefern. Wichtig ist erst einmal, zu schreiben, dass man Widerspruch einlegt.
3. Begründung schreiben
Hat der Gutachter einen wichtigen Punkt nicht ausreichend berücksichtigt? Schreiben Sie, warum die Argumentation aus Ihrer Sicht nicht zutreffend ist. Vielleicht haben Sie im Stress aber auch vergessen, etwas Wichtiges beim MD-Besuch zu erwähnen. Thematisieren Sie das! Oft hilft es, ein Schreiben vom Hausarzt oder Pflegedienst beizufügen. Schicken Sie unbedingt Kopien von medizinischen Unterlagen mit – z.B. von Krankenhausberichten und Gutachten.
4. Die Form wahren
Sie müssen schriftlich Widerspruch einlegen - formlos, mit Datum, Aktenzeichen des Bescheids und Unterschrift. Die Unabhängige Patientenberatung empfiehlt, den Widerspruch als Einschreiben mit Rückschein zu verschicken. Wichtig: Um für Ihren Angehörigen Widerspruch einzulegen, brauchen Sie eine Vollmacht oder müssen der gesetzliche Vertreter sein.
5. Nicht unterkriegen lassen
Immer wieder fordern die Kassen ihre Versicherten dazu auf, einen Widerspruch zurückzunehmen – etwa mit dem Argument, es sei aussichtslos. Von solchen Fällen berichtet die Unabhängige Patientenberatung. Lassen Sie sich davon nicht einschüchtern. Wenn die Kasse trotz Ihres Widerspruchs nicht nachgibt, kommt der Fall vor den Widerspruchsausschuss, der über das Anliegen entscheidet. Dort sitzen auch Vertreter der Versicherten.
6. Fristen im Auge behalten
Nach Ihrem Widerspruch bekommen Sie entweder einen Abhilfebescheid (= Leistung bewilligt) oder einen Widerspruchsbescheid (= Widerspruch abgelehnt). Wenn Sie nach drei Monaten nichts von der Kasse gehört haben und es keinen guten Grund dafür gibt, dass sich alles so hinzieht, können Sie eine Untätigkeitsklage beim Sozialgericht stellen.
Mein Widerspruch wurde abgelehnt – was jetzt?
Ein zweites Mal Widerspruch einlegen geht nicht. Jetzt bleibt Ihnen nur noch eine Möglichkeit – vor dem Sozialgericht zu klagen. Das ist zeitaufwändig: Die Klage dauert zwei bis drei Jahre.
Lohnt sich der Aufwand? Das soll man vom Streitwert abhängig machen, sagt Rechtsanwalt Christian Au: Geht es einmalig um 100 Euro oder brauche ich die Leistung immer wieder? "Es kann auch eine taktische Überlegung sein, um der Kasse zu zeigen: Das lasse ich nicht mit mir machen."
Um Klage einzureichen, haben Sie einen Monat Zeit. Sie können sich vor dem Sozialgericht selbst vertreten. Sozialverbände wie der VdK unterstützen Sie bei einer Klage. Das Verfahren ist für Sie kostenlos, selbst wenn Sie den Prozess verlieren. Wenn Sie einen Anwalt engagieren, müssen Sie nur sein Honorar zahlen. Verliert die Kasse, muss sie Ihre Anwaltskosten zahlen. Sie können sich einen Anwalt nicht leisten? Wenn Sie Prozesskostenhilfe beantragen, besteht die Möglichkeit, dass die Anwaltskosten von der Staatskasse übernommen werden.
Während das Verfahren läuft, sind Ihnen nicht die Hände gebunden: Sie können auch parallel neue Anträge stellen.
Neuer Antrag oder Widerspruch?
Widerspruch legen Sie dann ein, wenn Sie mit einem Bescheid nicht einverstanden sind. Der Vorteil gegenüber einem neuen Antrag: Hat der Widerspruch Erfolg, bekommt man die Leistungen rückwirkend bis zum Zeitpunkt, zu dem man den Antrag gestellt hat.
Weil neue Anträge oft kürzer dauern als ein Widerspruch, stellen manche pflegebedürftige Menschen einfach einen neuen Antrag. Aber: Je nach Situation können Sie dadurch rückwirkend Leistungen verlieren!
Einen neuen Antrag stellt man also nur dann, wenn sich die Situation seit der letzten Begutachtung verändert hat – wenn also z.B. eine neue Krankheit eingetreten ist. Rechtsanwalt Au empfiehlt: Wenn Sie auch am ersten Bescheid schon Zweifel haben, können Sie den Widerspruch auch trotz Neuantrag aufrechterhalten.
Fachliche Beratung:
Rechtsanwalt Christian Au
Anja Lehmann und Saskia Schloack, Unabhängige Patientenberatung