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Frau Schmid, bei Facebook denken viele an Selbstdarstellung, Skandale, Datenklau. Was bedeutet Facebook für Sie?

Kornelia Schmid: Facebook kann Brücken bauen, einen in den Arm nehmen. Man kann dort sein Herz ausschütten, sich auffangen, sich auskotzen, um Rat fragen. Facebook ist etwas Wunderbares, wenn man einen respektvollen Ton wahrt – aber man muss es kontrollieren, darf es nicht alleine lassen.

Sie haben eine Gruppe für pflegende Angehörige gegründet. Wie kam es dazu?

Seit 25 Jahren pflege ich meinen Mann, der an MS leidet. Bei uns war der Zusammenhalt in der Familie immer gut. Trotzdem war ich in meinem Leben viel zu viel alleine. Ich hätte schon lang Hilfe gebraucht. Deshalb wollte ich Angehörige miteinander in Austausch bringen. In der Gruppe kann man Fragen stellen, Rat geben und einfach erzählen, wie der Tag war.

Meine Erfahrung

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Hilfsangebote für Pflegende

In der Theorie gibt es viele Angebote, um Pflege für zu Hause zu organisieren und sich Unterstützung zu holen. Doch in der Praxis zeigt sich, dass viele Pflegebedürftige und ihre Familien auf sich gestellt sind. Woran liegt das? Was braucht es? zum Artikel

Das tun die Seniorin mit dem demenzkranken Mann, das Paar mit dem behinderten Sohn und die 25-Jährige, die ihre Großmutter pflegt. Was verbindet alle miteinander?

Das ist ein breites Spektrum. Aber alle Angehörigen haben dieselben Probleme: Wie organisiere ich die Pflege, was steht uns zu, wie schaffe ich das? Die gesetzlichen Bedingungen sind ja gleich – egal, ob ich ein Kind oder die Oma pflege.

Was können die sozialen Netzwerke, was eine Selbsthilfegruppe nicht kann?

Im Internet traut man sich eher, Fragen zu stellen. Und viele Angehörige sind an zuhause gebunden. Facebook kann man zuhause nutzen, 24 Stunden, rund um die Uhr.

Sie sind Administratorin der Gruppe – was machen Sie da genau?

Ich schalte Beiträge frei, begrüße die Mitglieder und beantworte Fragen. Außerdem schaue ich auf die Stimmung in der Gruppe. Hat jemand gerade einen lieben Menschen verloren? Dann schalte ich Beiträge mit Berichten über Skandale nicht frei, an dem Tag geht es um die Trauernden. Wenn jemand gerade überlegt, seinen Mann ins Heim zu geben, stelle ich an dem Tag nicht drei Negativ-Berichte über Heime hoch. Ist viel Schwere in der Gruppe, pushe ich einen humorvollen Beitrag.

Die Gruppe ist öffentlich. Könnte man sich in einem geschlossenen Rahmen nicht besser austauschen?

Es geht um Sichtbarkeit – wir müssen aus unseren stillen Kammern rauskommen. Ich möchte, dass Politiker, Ärzte, Pflegekräfte sehen, wie es uns Angehörigen geht. Jeder kann mitlesen. Da ist es natürlich umso wichtiger, dass man respektvoll miteinander umgeht. Manchmal lösche ich deshalb Kommentare, die einen negativen Ton reinbringen. Wenn bei 7000 Leuten einer neu reinkommt und lästert, ist meine Gruppe kaputt.

Pflege, Gesundheit, Beziehungen – das sind alles sensible, persönliche Dinge. Ist es nicht problematisch, als Angehöriger auf Facebook darüber zu schreiben?

Man muss ja nicht seine Lebensgeschichte erzählen – in unserer Gruppe kann man auch einfach eine sachliche Frage stellen. Man sollte wirklich nur Dinge schreiben, von denen man glaubt: Das kann in die Welt hinaus. Wenn ich merke, jemand gibt zu viel preis, lästert z.B. über ein Familienmitglied, dann schreibe ich denen eine private Nachricht und schalte den Beitrag erst mal nicht frei. Facebook kann man nicht alleine lassen. Ich kann es mir gar nicht leisten, einen Tag nicht drin zu sein.

Klingt stressig!

Ich mag‘s wahnsinnig gern, Menschen zu helfen. Ich habe 17 Jahre ehrenamtlich in der Telefonseelsorge gearbeitet. Und als ich meinen Job für die Pflege aufgegeben habe, hatte ich mit der Gruppe eine Aufgabe. Für mich war das ein Tor nach draußen.

Kennen Sie viele Mitglieder persönlich?

Viele persönlich, viele digital. Für mich ist die Gruppe meine Familie. Einmal im Jahr fahre ich eine Woche weg, um Mitglieder zu besuchen. Das sind die schönsten Urlaube, davon zehre ich das ganze Jahr. Dort sieht man: Jede Familie, jeder Pflegefall ist anders, aber die Liebe ist in jeder Familie ganz präsent. Das ist schön, diese Liebe zu spüren.

Die Gruppe "Pflegende Angehörige" finden Sie hier. Unter diesem Link geht es zum Verein "Pflegende Angehörige", den Kornelia Schmid gegründet hat.