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Senioren Ratgeber: Sie verstehen Ihr neues Album als "Kriegserklärung gegen den Krieg gegen die Wahrheit". Können Lieder wirklich etwas bewegen?

Heinz Rudolf Kunze: Ich will mir zumindest nie nachsagen lassen, ich hätte es nicht versucht. Ich werfe meine Flaschenpost ins Wasser und hoffe, dass sie irgendwo ankommt. Ich mache mir nicht viele Illusionen über die Wirkmöglichkeiten von ­Liedern. Aber über das, was mich beschäftigt, muss ich auch schreiben.

Spielen Sie manchmal mit dem Gedanken, einfach nur leichte Lieder zu schreiben?

Es gibt genug Typen mit rosaroter Brille, die alles schönsingen. Irgendjemand muss sich auch um den Rest kümmern!

Haben Sie das Gefühl, dass man Ihnen ausreichend zuhört?

Diejenigen, die in meine Konzerte kommen, sind sehr aufmerksam, das merkt man ganz deutlich. Eine Handvoll Künstler, so wie Herman van Veen, Konstantin Wecker und ich, haben einfach ein literarisch ­interessiertes Musikpublikum, so würde ich es nennen.

Stellt sich bei Ihnen mittlerweile Altersmilde ein?

Manchmal gelingt es mir, mich zu amüsieren, statt mich aufzuregen. Und manchmal muss ich mich weiter aufregen. Mir ist jedenfalls noch nicht alles egal, und das ist ganz gut so. Ich fühle mich manchmal noch wie ein Kindskopf. Mit ­dieser 63, die ich alt bin, kann ich ganz wenig ­anfangen. Ich merke nur körperlich, dass ich keine 30 mehr bin.

Sie sagen auch: "Man muss in meinem Alter ökonomisch mit seinen Kräften umgehen."

Ja, klar: Man sollte sich nicht verkämpfen, wo man eh nichts ändern kann. Aber das ist manchmal leichter gesagt als getan; manchmal regt man sich auch über Dinge auf, die man nicht ändern kann, einfach weil man sie so skandalös findet. Dass ich sterben muss, empfinde ich beispielsweise als unglaublichen Skandal, weil ich mich für unentbehrlich halte (schmunzelt).

Heinz Rudolf Kunze:

  • geboren am 30. November 1956 in Espelkamp (Ostwestfalen)
  • Durchbruch 1985 mit "Dein ist mein ganzes Herz". Seither hat er rund 500 Lieder veröffentlicht.
  • Aktuelles Album: "Der Wahrheit die Ehre"
  • Ein Sohn, eine Tochter aus erster Ehe. Mit seiner zweiten Frau Gabriele lebt er nahe Hannover.

"Wir schließen zu viele Kompro­misse", heißt es in einem Ihrer Lieder. Was war Ihr größter Kompromiss?

In meinem wahrlich freien Beruf sind die Kompromisse nicht so ausgeprägt wie in anderen Berufen. Aber um im Radio auch mal vor Mitternacht gespielt zu werden, muss man schon mal etwas machen, das sich zwischen Howard Carpendale und Vanessa Mai behaupten kann. Wir alle leben und arbeiten in einem Zusammenhang des Verkehrten, das ahnen wir sehr wohl, machen aber weiter mit. Weil jeder glaubt: "Das Boot, in dem ich sitze, ist das Letzte, das den Wasserfall runterfährt." Deswegen wird alles immer schlimmer: Weil alle mittun und irgendwie auch davon profitieren. Das war der Ansatz für das Lied.

"Dein ist mein ganzes Herz", Ihren bis heute größten Hit, hatten Sie relativ am Anfang Ihrer Karriere. Können Sie ihn noch hören?

Der Titel gehört einfach bei jedem Konzert dazu. Er hat mein Publikum mindestens verzehnfacht. Diese Num­mer hat dafür gesorgt, dass ich mein Leben lang Musik machen kann, das werde ich ihr immer hoch anrechnen. Auch wenn mir Dutzende meiner Titel besser gefallen: Das Pu­blikum hat ein Recht auf bestimmte Nummern und die damit verbundenen persönlichen Erinnerungen. Das respektiere und bediene ich.

Sie texten Lieder, schreiben Bücher, übersetzen Songs von Bruce Springsteen. Ist Ihnen Ihr geistiges Sprudeln selber etwas unheimlich?

Ich darf nicht drüber nachdenken, so wie ein Seiltänzer nicht nach unten schauen darf. Ich bin sehr dankbar für diese Gabe, die auch ein Fluch sein kann. Mein Rekord liegt bei ­sieben Liedertexten an einem Tag. Da fühle ich mich am Abend wie ein ausgeblutetes Schwein.

Was treibt Sie an?

Die Quelle dieses Verlangens, mit ­Tönen und Worten zu basteln, kenne ich nicht. Das ist seit meiner frühen Jugend so. Das Gefühl, wenn einem etwas gelungen ist, ist ja sehr schön. Dieser stolze Moment, wenn man denkt: "Ja! Sitzt, passt, wackelt und hat Luft." Das hält aber nie lange vor, dann muss ich das Nächste machen.

Sie wären gerne "Tatort"-Kommissar.

Das ist ein Lebenstraum von mir. Er sollte als einsamer Wolf mit Problemen im Privatleben in einer Kleinstadt wie Delmenhorst ermitteln und belesen sein. Auf die Lösung der Fälle kommt er immer durch Literatur.

Was reizt Sie denn so sehr am Schauspiel?

Ich gehe ganz darin auf, wenn mich ein Regisseur führt und mir hilft, eine andere Person zu sein. Da kann ich dann auch richtig geduldig sein. Im Musikstudio will ich immer schnell fertig werden und das Nächste machen. Im Film können sie mich scheuchen und mich alles x-mal wiederholen lassen: Ich sehe das alles ein, ich widerspreche dem Regisseur nie.

"Der Wahrheit die Ehre" heißt das aktuelle Album des Musikers.

"Der Wahrheit die Ehre" heißt das aktuelle Album des Musikers.

Sie kokettieren, ein Hypo­chonder zu sein. Wie äußert sich das?

Ich bin, vielleicht ist das sehr künstlertypisch, sehr schmerzempfindlich.Wenn ich eine Erkältung habe, bin ich nicht ansprechbar, und mit mir ist nichts anzufangen.

Ist Ihre Frau nicht genervt, wenn Sie über Zipperlein klagen?

Nein, sie macht das liebevoll: Sie nimmt mich total ernst. Und mein Arzt lobt mich wegen meiner Hypo­chondrie. Er sagt: "Sie verdrängen Ihre Beschwerden nicht, bis sie eskalieren. Auf diese Weise konnte ich Sie bislang gut beschützen."

Vermissen Sie den Respekt vor der älteren Generation?

Wir leben in einer Kultur, die zwanghaft auf Jugend fixiert ist. Manche Alten machen sich zum Kasper, indem sie das noch imitieren. Die Älteren haben mehr Respekt verdient, man sollte ihren Erfahrungsschatz besser nutzen und ihre Bereitschaft mitzutun. Sie haben einen riesigen Vorteil: Sie waren schon mal jung, aber sie waren auch etwas anderes. Die Jungen sind nur jung, sonst gar nichts.

Ihnen fehlen die "tiefen Überzeugungen" in unserer Gesellschaft. Es gebe "nur noch Moden".

Das ist eine meiner größten Ängste. Wir werden täglich bombardiert mit neuen Eindrücken. Meine Oma hat mir als Junge "Sgt. Pepper" von den Beatles geschenkt. Das hat mich sehr geprägt - wie viele andere. Käme heute "Sgt. Pepper" Teil 2 heraus, wäre das nach einer Woche vergessen oder würde anders gewertet: "Super! Was kommt jetzt?" Wir leben in einer Zeit, in der nichts mehr richtig beeindruckt. Wahrscheinlich ist Jesus schon achtmal wiedergekommen, und es wurde nur nicht bemerkt.