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Senioren Ratgeber: Was ist für Sie das Besondere am Theater?

ILJA RICHTER: Dass man nicht weiß, was einen erwartet. Als Schauspieler nicht, aber vor allem nicht als Zuschauer. Man mag eine ungefähre Vorstellung haben, aber wenn das Publikum sagt "Das hätten wir jetzt aber nicht erwartet" – im positiven oder im negativen Sinne! –, habe ich meinen Auftrag erfüllt.

Liegt Ihnen Theater mehr als Fernsehen?

Es ist genauso reizvoll, etwas in Großaufnahme vor der Kamera darzustellen wie auf der Bühne in der ewigen Totalen. Aber Fernsehen ist für mich ein Nebengleis, die Angebote sind selten interessant. Ich nehme es eben mit, sofern es nicht allzu unerträglich ist.

Den legendären "Disco-Ilja" bezeichnen Sie als Kunstfigur. War er auch eine Rolle?

Ich mochte, was ich präsentierte, es war aber nicht mein Leben. Das war schon damals die Schauspielerei, und diese Liebe habe ich in die Sketche getragen. Mal mehr gelungen, mal weniger. Unterhaltendes Cabaret. Wobei ich als denkender Mensch lieber schärfer geworden wäre. So eine freche, satirische Sprache, wie sie später Harald Schmidt und Co. an den Tag gelegt haben, davon hätte ich nicht zu träumen gewagt.

Die ersten zehn Jahre nach dem "Disco"-Erfolg haben Ihnen schlechte Laune ­gemacht, sagen Sie.

Das war eine harte Zeit, weil es tatsächlich schwierig war, sich von "Licht aus – Spot an!" freizuschwimmen. Aber ich glaube, ich habe das Beste daraus gemacht, musste weder Arztkittel noch Försterrock anziehen und nie als Kommissar fragen: "Wo waren Sie letzte Nacht zwischen zwei und drei?" Ich ernähre meine Familie vom Theater und konnte zumindest in den vergangenen 20 Jahren das spielen, was ich wollte.

Auf dem Höhepunkt der "Tolle Tanten"-Filme haben Sie in zwei Jahren in zwölf Kinofilmen ­mitgespielt. Ein heftiges Pensum.

Ja, vor allem, weil ein Film wie der andere war. Vielleicht wurde das deutsche Kino von den 1950ern bis in die 1970er immer schlechter, weil ihm aus Altersgründen weniger "Klamottenveredler" zur Verfügung standen – gestandene Schauspieler, die mit ihrer hohen Kunst und ihrem Komödiantentum das Langweilige erträglich machen konnten. Jedenfalls haben die "Tollen Tanten" und Verwandten unsere Familie aus der Armut geholt.

Sie sagen: "Nostalgie ist eine ansteckende Krankheit." Ein starkes Wort.

Ja? Erklären Sie mir, warum!

Gehört es nicht auch zur Persönlichkeit, sich zurückzubesinnen und Erinnerungen zu verwahren?

Krankheit gehört generell zum Leben. Das ist meine Antwort. Und ich bin ja selbst nicht frei davon, das weiß ich.

Ilja Richter

  • *24. November 1952 in Berlin
  • Spot an: Mit neun Jahren stand er erstmals auf der Bühne.
  • Fernsehpremiere 1967 in "Till, der Junge von nebenan".
  • Von 1971 bis 1982 moderierte der Star etlicher Filmkomödien "Disco". Seitdem viele TV- und Theaterrollen.
  • Spot aus: Lebt mit seiner Freundin und seinem Sohn (17) aus einer früheren Beziehung in Berlin.

Nichtsdestotrotz haben Sie schon vor Jahren Ihre Biografie geschrieben. Was ist Ihre Strategie, dem Älterwerden zu begegnen?

Ich habe keine Strategie.

Man kann sich ja nicht nicht verhalten.

Ich bin kein strategisch denkender Mensch und auf der Bühne präziser als im Leben. Manchmal wünsche ich mir, dass es anders wäre. Ich hatte kein preußisch durchgetaktetes Leben. Auch wenn ich Rituale habe, wie andere Menschen auch. Manche Dinge habe ich in meinem Leben ein bisschen zu spät gemacht und ein paar zu früh. Botschaften, Ratschläge und Patentlösungen fürs Altern kann ich nicht bieten. Das Buch war übrigens keine Biografie im klassischen Sinne. In einem Kapitel brachte ich meine Verehrung für die Schauspielerin Ellen Schwiers zum Ausdruck und für die Würde, mit der sie altert. Dazu hatte mich das ­Interview mit ihr im Senioren Ratgeber inspiriert.

Können Sie dem Alter gute Seiten abgewinnen?

Es bringt uns vielleicht ein Stückchen Unschuld zurück. Alte Menschen wirken manchmal unschuldiger als 40- oder 50-Jährige. Gelassener, weiser, wenn man Glück hat. Oder kindlicher, kindischer, wenn man Pech hat. Ich habe allerdings mehr weißhaarige Idioten getroffen als Weise.

Denken Sie manchmal: "Hoffentlich kann ich in 20 Jahren noch meinen Text lernen"?

Einen solchen Satz nehme ich nicht in den Mund – weil er angstgeprägt ist. Ich bin nicht etwa frei von Ängsten, aber auch nicht getrieben davon. Will ich in 20 Jahren überhaupt noch auf der Bühne stehen? Das kommt darauf an, ob das dann zumutbar ist – sowohl für die Zuschauer als auch für mich. Ob das dann noch Kunst ist, unterhaltend, sehenswert.

Wie wichtig ist es für Sie, immer wieder Neuland zu betreten?

Je älter man wird, desto mehr ist dieses Wort natürlich mit Vorsicht zu genießen. Aber ich versuche es im Rahmen meiner Möglichkeiten. Ins Fernseh-Dschungelcamp beispielsweise würde ich um des Neulands willen auf keinen Fall gehen. Dort wird etwas gemacht, das mit schlechtem Geschmack und der beschmutzten Würde des Menschen zu tun hat.

Mit der Gelassenheit des Alters könnten Sie ja auch sagen: Soll doch jeder gucken, was er will.

Den Satz "Soll doch jeder machen, was er will" werden Sie von mir als Demokrat nicht hören. Das tun die Leute ja schon zum Teil und werfen den Dreck neben die Mülltonne statt hinein. Das ist nicht gerade gesellschaftsfördernd.

Das alte Problem, dass Toleranz und Gleichgültigkeit verwechselt werden?

Das finde ich sehr gut auf den Punkt gebracht. Desinteresse ist nicht To­­leranz. Es ist heute alles Mögliche erlaubt, was eigentlich unerhört ist. Was den Menschen würdelos macht. Aber es ist nicht erlaubt zu sterben. Die Altersheime werden gerne außerhalb der Städte gebaut. Der Tod findet nicht mehr in der Familie statt, sondern im Krankenhaus. Dabei weiß ­jeder, dass Tod keine Krankheit ist. Heute steht nicht mehr der Mensch im Vordergrund, sondern Produkte. Wir sind beim alttestamentarischen Tanz ums Goldene Kalb angelangt. Und bei einer "Geiz ist geil"-Menta­lität. Aber Geiz ist nicht geil, Geiz ist Enge. Das funktioniert in Frankreich übrigens nicht, weil auch der einfachste Franzose bei Lebensmitteln nicht spart. Ich muss gehen. Können Sie mit dem, was ich gesagt habe, was anfangen?

Es wird vielleicht nicht ganz ­einfach.

Das freut mich, denn es soll ja nicht das Erwartete sein.