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Herr Scholz, verreisen mit einem Pflegebedürftigen – geht das überhaupt?

André Scholz: Natürlich! Mit guter Vorbereitung ist vieles möglich. Mittlerweile gibt es einige Anbieter, die sich auf diese Zielgruppe spezialisiert haben. In vielen Hotels und Pensionen können pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen gemeinsam ihren Urlaub verbringen.

Ihr Verein "Reisemaulwurf" berät pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen. Warum ist Ihnen das wichtig?

Ich arbeite seit vielen Jahren als Pflegeberater in Berlin. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Leute fast nie Fragen zum Thema Urlaub stellen. Dabei ist Erholung gerade in der Pflege wichtig. Viele Angehörige pflegen ja jahrelang und können im Alltag keine Kraft tanken. So kam ich auf die Idee, den Verein zu gründen.

Kontakt zum Reisemaulwurf

reisemaulwurf.de

Tel.: 0179 593 54 04

E-Mail: info@reisemaulwurf.de

André Scholz lebt und arbeitet in Berlin und hat 2016 den Verein "Reisemaulwurf" gegründet. Er ist gelernter Altenpfleger, arbeitet als Pflegeberater in einem Berliner Pflegestützpunkt und ist seit einigen Jahren selbst Angehöriger von pflegebedürftigen Familienmitgliedern.

Wie läuft die Beratung bei Ihnen ab?

Die Beratung ist kostenlos, ich mache das ehrenamtlich. Sie rufen bei mir an oder schreiben mir eine E-Mail. Meistens will ich dann von Ihnen wissen: Wohin möchten Sie? Wie selbstständig ist der Pflegebedürftige, wie mobil, hat sich sein Verhalten verändert? Welche Hilfsmittel braucht er? Ich frage Sie auch: Wollen Sie die Pflege im Urlaub weiter leisten oder möchten Sie stunden- oder tageweise Unterstützung am Urlaubsort? Dann mache ich mich auf die Suche und empfehle Ihnen Hotels oder Organisationen, die zu Ihren Wünschen passen. Die Reise buchen Sie aber direkt über den Veranstalter, ich bekomme keine Provision.

Sie haben hier viele Anfragen mit Reisewünschen vor sich liegen. Wohin wollen die meisten?

Die Wünsche sind oft ähnlich: Nordsee, Ostsee, Mecklenburgische Seenplatte. Manchmal sagen mir die Leute, sie wollen "ans Wasser" oder "einfach mal weg". Da ist eine große Bescheidenheit da. Viele wollen die Erwartungen nicht zu hoch schrauben.

Also müssen es nicht die Malediven sein?

Es gibt zwar Anbieter für internationale Reiseziele, mit denen man im Rollstuhl eine Wüstensafari in Marokko machen oder zu den Berggorillas nach Borneo reisen kann. Aber meine Zielgruppe bleibt zu 99 Prozent in Deutschland. Viele wollen nur zwei, drei Stunden zum Reiseort fahren. Gerade wenn jemand einen hohen Pflegegrad hat, greift er nicht nach den Sternen, sondern freut sich, einfach mal rauszukommen.

Was reizt die Leute so an der Ostsee?

Das Wasser, die Weite? Ich glaube, die Ostsee ist für viele der Inbegriff für Erholung. Vielleicht ist es auch die Topographie, dort ist es flach. Im Harz, in Thüringen oder anderswo in den Bergen kann es sein, dass ich das Hotel verlasse und eine steile Straße vor mir liegt. Im Rollstuhl ist das eine echte Herausforderung. Man muss dazu sagen, dass uns durch unseren Sitz in Berlin viele Anfragen von hier erreichen. Für Berlinerinnen und Berliner ist die Ostsee gut erreichbar.

Worauf muss man bei der Suche nach Anbietern und Angeboten achten?

Mittlerweile gibt es immer mehr spezialisierte Anbieter und Portale für barrierefreie Reiseangebote. Es gibt spezialisierte Pflegehotels mit Pflegekräften oder Betreuungsgruppen. Auch Seniorenheime oder Pflegeheime können eine Anlaufstelle sein. Gut ist immer, wenn das Hotel auf seiner Website den Unterstützungsbedarf kommuniziert und nicht einfach in einem Nebensatz schreibt: Es gibt ein barrierefreies Zimmer.

Was für Tipps haben Sie für Angehörige, die sich selbst auf die Suche machen?

Denken Sie die Reise in Schritten durch: die Anreise, die Unterkunft, Hilfsmittel, Betreuungs- und Freizeitangebote. Zuerst der Hinweg: Was brauche ich auf der Fahrt? Wo kann ich Inkontinenzmaterial wechseln? Gibt es eine barrierefreie Toilette am Pausenort? Dann die Ankunft: Holt mich jemand vom Bahnhof ab? Planen Sie auch Eventualitäten durch, etwa: Wo ist am Urlaubsort das nächste Krankenhaus? Fragen Sie ruhig zwei Mal nach. Und: Besorgen Sie sich unbedingt eine gute Reiserücktrittsversicherung!

Wie schafft man es als Angehöriger, im Urlaub abzuschalten?

Sie können etwa alleine Ausflüge machen, während Ihr Angehöriger stunden- oder tageweise durch einen Pflegedienst oder im Pflegehotel betreut wird. Überlegen Sie sich, mal getrennt zu schlafen, wenn es in einem Hotel zwei Zimmer mit einer Trennungstür gibt. Wenn es Ihnen schwerfällt, die Pflege in fremde Hände zu geben, könnten Sie zum Beispiel beim Waschen dabei sein, aber passiv bleiben. Schauen Sie der Pflegeperson über die Schulter und erklären, wie Ihr Mann gerne gewaschen werden würde.

Was kostet so ein Urlaub?

Pauschal lässt sich das so leider nicht sagen. Es kommt auf die An- und Abreise an, auf die Unterkunft und den Hilfsmittelbedarf. Barrierefreie Hotelzimmer kosten etwas mehr als normale Zimmer, weil sie größer sind. Am teuersten ist das Personal für Pflege und Betreuung. Wenn der Pflegebedürftige z.B. am Urlaubsort vier Stunden täglich individuell versorgt werden soll, schlägt das natürlich zu Buche.

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Mit der richtigen Unterstützung ist alles möglich! Mein Mann hatte MS, ALS und Epilepsie. Wir waren einmal im Urlaub, drei Tage in Berlin. Da waren wir mit einer halben Intensivstation unterwegs, aber es hat trotzdem geklappt. Es ist alles nur eine Frage der Organisation. Stiftungen haben uns dabei geholfen, das unkompliziert und unbürokratisch zu finanzieren.

Gisela Hoff, pflegte ihren MS- und ALS-kranken Mann

Das können sich viele nicht leisten.

Das stimmt leider. Urlaub ist eine Privatangelegenheit und deshalb privat zu bezahlen. Allerdings können Sie unter bestimmten Voraussetzungen Leistungen aus der Pflegeversicherung nutzen - die Verhinderungspflege. Dazu stehen jährlich bis zu 2.418 € zur Verfügung. Fragen dazu beantworten wir gerne.

In speziellen Pflege-Hotels ist man auch im Urlaub nur mit Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen zusammen. Was halten Sie davon?

Wenig. Das Angebot unterscheidet sich kaum von einer Kurzzeitpflegeeinrichtung. Und wer will schon Urlaub machen, selbst pflegebedürftig, umgeben von nur pflegebedürftigen Menschen? Welchen Erholungswert hat es für Angehörige, auch im Urlaub nur von Pflegesituationen umgeben zu sein? Vermutlich einen sehr geringen. Es gibt mittlerweile gute Beispiele für eine integrative Urlaubsgestaltung von pflegebedürftigen, behinderten und nichtbehinderten Menschen. Das sollte künftig der Weg sein.