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"Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben." Diese Worte werden Cicely Saunders zugesprochen. Die englische Ärztin wurde 1918 geboren und gilt als die Begründerin der modernen Palliativmedizin. Ihre Aussage fasst ziemlich gut zusammen, um was es in diesem Konzept der Krankheitsbegleitung geht.

Die meisten Menschen versuchen, den Gedanken an die Endlichkeit des eigenen Lebens so lange wie möglich von sich fernzuhalten. Es gibt aber Situationen, in denen das nicht mehr geht: bei einer unheilbaren Krebserkrankung zum Beispiel. "Die Palliativmedizin versucht die Menschen so zu begleiten, dass ihnen ein guter Umgang mit der Situation gelingt", sagt Dr. Bernd-Oliver Maier, Chefarzt für Palliativmedizin und interdisziplinäre Onkologie im St. Josefs-Hospital Wiesbaden.

Ziel der Palliativmedizin: Lebensqualität

Die klassische Medizin verfolgt das Ziel, den Patienten von seinen Krankheiten zu heilen. Die Palliativmedizin kommt ins Spiel, wenn die Mittel dieser klassischen Medizin nicht ausreichen. Sie legt den Fokus weg von der Behandlung. Stattdessen will sie unheilbar Kranke dabei unterstützen, ihre letzten Monate, Wochen und Tage mit einer möglichst hohen Lebensqualität zu erleben, selbstbestimmt und ohne unnötiges Leid. Eben den Tagen mehr Leben geben.

Nicht das technisch Machbare steht im Vordergrund, sondern das, was der Patient will. So besprechen die Ärzte mit diesem beispielsweise das Für und Wider einer Operation, überlegen, ob der Eingriff überhaupt sinnvoll ist. So verlängert eine aggressive Chemotherapie möglicherweise das Leben nur kaum, verursacht aber weitere Leiden. "Wir geben Patienten in solchen Situationen den Mut, sich bewusst dagegen zu entscheiden", sagt Maier. Das ist allerdings nicht mit aktiver Sterbehilfe zu verwechseln. Diese lehnt die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin ab.

"Mein Mann hatte einen aggressiven Krebs in Lunge und Wirbelsäule. Er lag im Sterben, da hat uns eine Krankenschwester einen Kontakt zu einem Hospizdienst vermittelt. Ich wusste vorher nicht, dass es so etwas gibt. Man ist irgendwann an einem Punkt, an dem man nicht mehr klar denken kann. Die Ehrenamtlichen haben mir die Chance gegeben, zu reden. Und sie haben den Schmerz mit mir ausgehalten. Eine Frau vom Hospizdienst war sogar später bei der Beerdigung dabei und hat mich nachher noch einmal besucht. Das hat mir gut getan."

Inge Liebel, pflegte ihren Mann bis zu seinem Tod

Inge Liebel

Inge Liebel

Ein Team aus vielen Disziplinen

Palliativmedizin geht dabei weit über das hinaus, was Ärzte traditionell leisten. Grob lassen sich dabei ein medizinischer Bereich unterscheiden und einer, bei dem es um die psychosozialen und spirituellen Belange des Betroffenen geht. Aufgrund dieses ganzheitlichen Ansatzes kümmert sich bei der palliativen Begleitung ein Team von Spezialisten aus unterschiedlichen Disziplinen um den Patienten: Ärzte, Krankenschwestern, Physiotherapeuten, Pflegekräfte, Psychologen, aber auch Seelsorger und Sozialarbeiter.

Die Palliativ-Ärzte versuchen, die Symptome des Betroffenen zu lindern. Die Schmerzen, die mit der Krankheit einhergehen, lassen sich beispielsweise mit Therapien oder Medikamenten behandeln. Aber auch um andere Beschwerden kümmern sich die Ärzte. Krebserkrankungen gehen etwa gerade im fortgeschrittenen Stadium häufig mit Appetitlosigkeit, Übelkeit und Atemproblemen einher.

Wer Hilft?

Wo Menschen, die schwer krank sind, Unterstützung finden

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Die Palliativstation

Schmerzen lindern und Lebensqualität erhöhen ist das Ziel der Palliativmediziner. Wer hier liegt, wird nicht zwingend hier sterben – falls doch, wird der Patient von einem multiprofesionellem Team betreut. In Deutschland gibt es 330 Stationen.

Die Apotheke

Wer das Bett nicht mehr verlassen kann, ist oft auf den Lieferdienst der Apotheke angewiesen, um alle Medikamente zu bekommen. Außerdem kann der Apotheker beraten, wenn Medikamente nicht mehr wirken, anders dosiert oder flüssig statt in Tablettenform verabreicht werden müssen.

Die ambulante Palliativversorgung

Bis zu einem gewissen Grad können der Hausarzt und der Pflegedienst einen Kranken zuhause versorgen. Wird mehr Unterstützung benötigt, kann der Arzt ergänzend Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) verordnen. Dann kommen Palliativ-Profis dorthin, wo der Kranke sich aufhält – auch ins Pflegeheim.

Der Hausarzt

Der Hausarzt ist wahrscheinlich der Mediziner, der den Patienten am besten kennt. Er hat die Krankheitsgeschichte und mögliche Unverträglichkeiten im Blick, macht Hausbesuche und bespricht sich mit Fachärzten oder dem Apotheker.

Ehrenamtliche Helfer

Viele Tausende ehrenamtliche Helfer unterstützen deutschlandweit Menschen, die im Sterben liegen. Sie begleiten sie bei Spaziergängen, Einkäufen oder Arztbesuchen, haben Zeit für Gespräche oder wachen am Bett, wenn es kritisch wird. Sie unterliegen der Schweigepflicht. Kontakt über den örtlichen Hospizverein.

Das Hospiz

Der Hausarzt oder die Ärzte auf der Palliativstation können für den Patienten ein Bett im Hospiz beantragen. Leider klappt das nicht immer sofort – die Plätze werden nach Warteliste vergeben. Es gibt etwa 250 Hospize in Deutschland. Adressen im Internet unter: wegweiser-hospiz-palliativmedizin.de

Psychischer und geistiger Beistand

Mit der Behandlung der körperlichen Beschwerden allein ist es aber nicht getan. Das Wissen um den nahenden Tod stellt eine psychische Belastung für die Betroffenen dar, die zu einer Depression führen kann. Im Bedarfsfall begleiten deshalb auch Psychologen die Schwerkranken, sowie eine weitere Berufsgruppe, die im medizinischen Alltag ansonsten eher selten anzutreffen ist: Seelsorger. Sie sind da, wenn Patienten ihre letzten Dinge in Ordnung bringen wollen, ihren Frieden mit ihrem Glauben machen möchten. Solche Wünsche kommen bisweilen auch bei Menschen auf, die sich bislang nicht für Religion interessiert hatten.

Zum Team in palliativen Einrichtungen gehören zudem Sozialarbeiter. Sie helfen Patienten bei Rechtsfragen, beim Erstellen von Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten sowie bei der Organisation von weiteren anstehenden Angelegenheiten.

"Für meinen Vater war es eine Erlösung, dass er gehen durfte. Er war vier Monate im Krankenhaus. Irgendwann haben wir gesagt, wir holen ihn nach Hause. Ich war nach seinem Tod sehr traurig, aber es war sein Weg, den wir mit ihm gegangen sind. Bei aller Trauer war da auch Erleichterung. In seinen letzten Momenten war ich bei ihm."

Inge Liebel, pflegte ihren Vater

Studie: Palliativ-Patienten leben länger

Die Wirkung von palliativer Betreuung bestätigen auch Studien. Am Massachusetts General Hospital in Boston begleitete die Palliativärztin Jennifer Temel zusammen mit ihren Mitarbeitern mehrere Patienten, die unter Lungenkrebs litten. Ein Team betreute die Tumorpatienten palliativ. Diese bekundeten daraufhin in Fragebögen eine verbesserte Lebensqualität. Bemerkenswerterweise lebten sie auch bis zu mehrere Wochen länger, obwohl das gar kein erklärtes Ziel der Palliativmedizin ist. Zudem schien es sich auszuzahlen, früh mit der palliativen Begleitung zu beginnen.

Das bestätigt auch Palliativmediziner Maier. Es macht durchaus Sinn, wenn Krebskranke zu Beginn der Therapie nicht nur zum Arzt Kontakt haben, sondern darüber hinaus psychologisch geschultes Personal mit ihnen über die Folgen der Krankheit spricht. Die Realität sieht freilich meist anders aus: In der Regel beginnt die palliative Begleitung erst, wenn die Krankheit weit fortgeschritten ist. In manchen Krankenhäusern stellt sich das Palliativ-Team dann dem Patienten vor. Interessierte können aber auch selbst beim Krankenhaus oder ihrer Krankenkasse nachfragen, ob es entsprechende Angebote in der Nähe gibt. Zudem bestehen regionale Palliativmedizin-Netzwerke, an die man sich wenden kann, ebenso Hospiz-Dienste vor Ort.

Hospiz und Palliativstation

Oft findet die palliative Begleitung im Hospiz statt. Diese Einrichtungen sind unabhängig von Krankenhäusern, kooperieren aber häufig eng mit diesen. Hospize verfügen über einen eigenen Stab an Mitarbeitern, die sich um Schwerkranke im Sinne der palliativen Versorgung kümmern. Es gibt stationäre und ambulante Hospiz-Dienste. Darüber hinaus besitzen viele Krankenhäuser eine eigene Palliativstation. Bei ihnen liegt der Fokus im Vergleich zum Hospiz eher bei der medizinischen Versorgung. Die Kosten für die palliative Versorgung übernehmen überwiegend die Krankenkassen.

Insgesamt ist die Palliativmedizin ein relativ junges Konzept in Deutschland. 1983 eröffnete die Uniklinik Köln die erste Palliativstation in der Bundesrepublik. Mittlerweile gibt es nach Angaben des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands bundesweit über 300 Palliativstationen und 1500 ambulante Einrichtungen. Doch nicht nur rechnerisch legt die Palliativmedizin in Deutschland zu. Sondern auch in den Köpfen: "Sie wird selbstverständlicher und bei der Patientenbetreuung immer öfter mitbedacht", sagt Maier.

Cicely Saunders erlebte die palliative Versorgung, deren geistige Mutter sie war, übrigens selbst. Sie starb 2005 im Alter von 87 Jahren in London an Krebs – in einem Hospiz, das sie selbst gegründet hatte.