Logo der Apotheken Umschau

"Ich habe schon so viel erlebt, ich könnte ein Buch darüber schreiben." Wer hat das nicht schon einmal gedacht? Je mehr Jahre hinter einem liegen, je aktiver man war, desto größer wird oft der Wunsch, die Vergangenheit auf Papier zu bannen. Die persönlichen Erlebnisse Schwarz auf Weiß festzuhalten für sich selbst und die Nachwelt. Dieser Wunsch ist nicht so unerreichbar, wie er auf den ersten Blick erscheinen mag. Im Gegenteil: Es ist immer häufiger der Fall, dass Senioren ihre eigene Autobiografie schreiben. "Es gibt mehr und mehr Biografie-Werkstätten. Seit etwa zehn Jahren werden diese Schreibkurse speziell für Senioren angeboten", sagt Dr. Hanne Landbeck (52), Medienwissenschaftlerin und Schreib-Coach aus Berlin.

Das Tagebuch als Grundlage nehmen

In einer immer schnelleren, unübersichtlicheren Welt sei es oft wohltuend, sich auf die eigene Person zu besinnen. "Und natürlich geht es auch darum, etwas zu hinterlassen. Ein eigenes Buch als Versicherung, dass man gelebt hat", sagt Landbeck. Ihr Credo: Jeder Mensch kann sich ausdrücken. Und: Schreiben kann man lernen! Trotzdem: Die Scheu vor den ersten Sätzen ist oft groß, die weißen Seiten oder der leere Computer-Bildschirm schier unüberwindbar. Lassen Sie sich davon nicht entmutigen! Wer Tagebuch schreibt, kann diese Notizen als Ausgangspunkt nehmen, um sich die wichtigsten Lebensstationen ins Gedächtnis zu rufen und neu niederzuschreiben – dieses Mal für ein Publikum.

Erinnerungen ins Gedächtnis rufen

Aber es geht auch ohne Tagebücher: "Ich beginne meine Kurse meist damit, starke Erinnerungen wieder ins Gedächtnis zu rufen, so, als wäre alles gerade erst passiert", sagt Hanne Landbeck. Die Expertin beschreibt Erinnern als sinnlichen Prozess, ausgelöst durch ein Bild, einen Geruch, einen Geschmack im Mund, der zum Beispiel an die eigene Kindheit zurückdenken lässt. "Die Teilnehmer sollen ganz genau beschreiben, an welche Details sie sich erinnern." Beim ersten Schultag etwa an den aufmunternden Kuss der Mutter, das Kleid der Lehrerin, den Inhalt der Schultüte, den Geruch im Klassenzimmer, die aufgeregten Kinderstimmen auf den hallenden Gängen… "Es ist wichtig, sich die Szene mit all ihren Details wieder vor Augen zu führen", erklärt Landbeck. Genau so sollen es die Schreib-Lehrlinge dann aufschreiben. Dann geht es ans Materialsammeln. Welche Erlebnisse möchte ich festhalten? Welche Erkenntnisse aus meinem Leben will ich hinterlassen?

Persönliche Erfahrungen im Mittelpunkt

Ein prägendes Kindheitserlebnis, die Geburt des eigenen Sohnes oder der Tochter, eine überwundene Krankheit. Und: Die Senioren sind wichtige Zeitzeugen der Nachkriegszeit, womöglich sogar der Kriegsjahre. "Erinnerungen an die 40er Jahre des Hungers, an die ärmlichen und braven 50er Jahre, an die satten 60er und die wilden 70er Jahre. Vor dieser Kulisse eines gewaltigen sozialen Wandels spielte sich unser eigenes Leben ab, mit unseren ganz besonderen persönlichen Erfahrungen, die jetzt Vergangenheit geworden sind", so formuliert es die Schriftstellerin Herrad Schenk, Jahrgang 1948, und Autorin des Buches "Die Heilkraft des Schreibens. Wie man vom eigenen Leben erzählt".

Stehen die Erlebnisse erst einmal fest, die zu Papier gebracht werden sollen, geht es um den richtigen Schreibstil. Situativ soll er sein, die inneren Bilder nutzend. "Autobiographien schreibt man in der Ich-From", erklärt Landbeck und weist auf ein paar Grundregeln hin: "Schreiben Sie im Aktiv statt im Passiv, benutzen Sie starke Verben, meiden Sie Floskeln und Redewendungen, versuchen Sie lieber eigene Vergleiche und Bilder zu finden."

Einen eigenen Schriebstil entwickeln

Auf Rechtschreibung und Grammatik kommt es erst einmal gar nicht so an. "Das kann man später immer noch verbessern", so Landbeck. Überhaupt: Man muss nicht studiert haben, um sein eigenes Buch schreiben zu können. "Oft gehen Menschen mit geringerem Bildungshintergrund unbefangener an die Sache heran", ist ihre Erfahrung. "Das kann ich sowieso nicht", gilt also nicht als Ausrede. Die Expertin macht Mut: "Es ist erstaunlich, wie schnell gerade ältere Menschen lernen und ihren eigenen Schreibstil, ihre Erzählstimme finden." Letzteres sei für einen gelungenen Text besonders wichtig. "Ideen und vergessen geglaubte Erinnerungen kommen beim Schreiben von ganz allein", sagt Schreib-Coach Landbeck.

Schreiben hält geistig fit, ist aber keine leichte Aufgabe. Sie erfordert Durchhaltevermögen, die Bereitschaft, auf vielen Ebenen gleichzeitig zu denken, vor allem aber Geduld: "Selbst wenn Sie jeden Tag an Ihrer Autobiografie arbeiten, müssen Sie mindestens ein halbes Jahr rechnen", sagt Landbeck. Eine spannende Zeit, in der Sie an manchen Tagen beflügelt von den eigenen Worten Seite um Seite füllen werden, an anderen Tagen hingegen rein gar nichts zu Papier bringen.

Sich sortieren

Bei einem Durchhänger empfiehlt sich das sogenannte "Clustering": Das englische Wort für "Anhäufung" beschreibt eine kreative Arbeitstechnik, die sich bei Autoren bewährt hat. Landbeck erklärt: "Nehmen Sie sich ein großes Blatt Papier, mindestens DIN A3, und schreiben in die Mitte ein Wort, das Ihnen gerade einfällt, zum Beispiel Blumenvase. Dann lassen Sie Ihren Assoziationen freien Lauf!" Bei Blumenvase also bitte nicht alle Blumen auflisten. Wenn Sie über Blumenvase hingegen zu Glas, Wein und letztlich zu Ihrem Großvater kommen, der so gern ein Gläschen getrunken hat, haben Sie vielleicht eine neue Schreibidee gewonnen.

Kreativität, Dramaturgie, Satzbau – wem das zu viel ist oder wer schlicht nicht die Zeit zum Schreiben hat, muss auf seine Autobiografie als Buch trotzdem nicht unbedingt verzichten. Vielleicht findet sich im Familien- oder Bekanntenkreis jemand, der beim Gespräch ein Aufnahmegerät auf den Tisch legt und Ihre Lebensgeschichte später abtippt? Oder Sie suchen sich einen schreibbegabten Studenten, der sich mit Ihrer Biografie ein paar Euro hinzuverdienen möchte.

Kommerzielle Schreiber und Schreibkurse

Es gibt aber auch kommerzielle Anbieter, die über ein bundesweites Netzwerk an Autoren verfügen, die Ihr Leben für Sie niederschreiben und inklusive Fotos und professionellem Druck ein Buch daraus machen. Aber auch das kostet Zeit – und vor allem viel Geld. 10.000 Euro und mehr je nach Länge und der gedruckten Auflage. Kurse in Schreibwerkstätten sind im Vergleich dazu wesentlich günstiger. Achten Sie auch auf Angebote von Volkshochschulen oder Service-Zentren für Senioren. Seriöse Werkstätten bieten oft Probe-Coachings an. Wichtig ist, dass der Lehrer selbst viel Schreiberfahrung mitbringt und das nötige Fingerspitzengefühl für die heiteren aber auch traurigen Geschichten, die Ihr Leben schrieb.