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Herr van Veen, wie hat sich Ihr Blick auf die Welt nach 50 Jahren auf der Bühne verändert? Sind Sie optimistischer oder pessimistischer geworden?

Ich bin gerade 71 geworden und habe vielleicht noch 40 Jahre zu leben (lacht). Wenn du weißt, es geht zu Ende, verändert das deinen Blick auf die Wirklichkeit. Als geborener Erz-Realist bin ich weder optimistischer noch pessimistischer geworden. Ich bin im Jetzt und Hier. Ich bin glücklich. Ich bin gesund, habe fantastische Kinder, Freunde. Ich kann mich nicht beklagen über das, was mir passiert ist im Leben, und ich habe sogar Winzigkeiten in der Welt verändern können. 

Sie haben auch eine Stiftung für Kinder gegründet, Sie engagieren sich für Unicef, seit sie 17 sind … 

Eine Maxime meines Vaters war: "Du solltest auch immer etwas für andere tun." Die habe ich mir früh zu eigen gemacht. Meine Eltern waren durch den Zweiten Weltkrieg so geprägt, dass es uns Kindern verboten war, unzufrieden zu sein. Im Frieden zu leben und sich trotzdem zu beklagen, war ihnen einfach unerträglich.

Wird es im Alter schwieriger, Musik zu schreiben?

Schwieriger wird’s nicht. Es ist anders, freier. Man ist weniger belastet als früher. Als ich nach dem Musikstudium anfing, selbst zu komponieren, hatte ich noch die ganzen Gesetze im Kopf: "Quintenparallelen sind verboten" und so etwas. Gerade habe ich etwas geschrieben, das nur aus Quintenparallelen besteht. Das hätte ich mich als junger Mensch nie getraut. Überhaupt wird man mit dem Alter unglaublich viel ruhiger, ohne dass das Leben an Dynamik verliert. Man hat mehr Erfahrung, ist herumgekommen in der Welt, kann mehr vergleichen.  

Spielen Sie zuweilen mit dem Gedanken, sich zur Ruhe zu setzen?

Meine Eltern sind an Herzproblemen gestorben, da waren sie Mitte achtzig. Ich lasse mich jetzt schon regelmäßig checken, und mein Kardiologe sagt: "Aufhören wäre katastrophal." In Rente zu gehen ist für Menschen wie mich undenkbar. Wenn mein letztes Stündlein schlägt, würde ich am liebsten dahinschmelzen wie eine Schneeflocke.

Ein poetischer Abgang, wie wir ihn von Ihnen erwarten. Apropos: Hat die Poesie heute weniger Platz in unserer Gesellschaft?

Die Poesie ist da. Wir finden sie nur anders. Früher mussten wir in einen Buchladen gehen, um etwas von Wolf Wondratschek zu lesen. Jetzt finde ich ihn im Internet. Einfach bei Google "Won…" eingeben – und dann ist er schon da. Es ist heute viel mehr Poesie erreichbar als früher, man kann alles finden. Aber man muss natürlich wissen, was man eigentlich sucht. Für unsere Kinder und Enkel ist die Welt unglaublich viel komplexer als für uns. Wir sind mitten in einer digitalen Revolution, die Möglichkeiten sind gigantisch. Wir könnten sofort erfahren, wenn jemand im Iran eine Ameise überfährt. Ob wir das überhaupt wissen wollen, ist eine andere Frage. 

Wie geht es Alfred Jodocus Kwak, Ihrer Comic-Ente?

Sehr gut. Alfred ist gerade 45 Jahre geworden. Sein erster Auftritt war in einem Märchen mit Sinfonie­orchester, und gerade habe ich wieder ein sinfonisches Märchen für ihn geschrieben. Es geht darum, was ein Orchester ist und woraus Instrumente hergestellt werden. Wir entwickeln auch eine neue Fernseh­serie mit Alfred, leider ist vor drei Jahren Alfreds Zeichner verstorben. Das macht es sehr schwierig. 

Hat Alfred seinen Vornamen von Alfred Biolek?

Ja. Wir waren mal zusammen in den Ferien, Bio hatte eine viel zu kleine Badehose an und so eine watschelige Art zu gehen. Da lag das auf der Hand.     

Stimmt es, dass Alfred Biolek Sie entdeckt hat?

Er drehte damals eine Fernsehdokumentation über die Entwicklung des Theaters in Holland und fragte mich, ob ich Lust hätte, nach Deutschland zu kommen. Das erwies sich als sehr gute Idee.

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Verdanken Sie Ihren Erfolg Ihrem inneren Kind?

Mag sein. Wenn man das Kind in sich verliert, hat man ein Problem. Ich habe immer das Gefühl, ich bin ein alt werdendes Kind – und dann doch wieder ein Junge von höchstens 14 Jahren. Verändert haben sich nur meine Erinnerungen.

Inwiefern?

Zu meinen Liedern tauchen in meinem Kopf heute ganz andere Szenen auf als früher. Faszinierende Bilder, die sich vorher nicht ankündigen. Das ist fast wie Kino. Dieser wunderbare Erfahrungsschatz ist der Vorteil am Älterwerden. Ich fühle mich vom Leben reich beschenkt.

Seit Ihrem Lied "Ich hab’ ein zärtliches Gefühl" gelten Sie als Melancholiker …

Zu Unrecht. Melancholiker leben die Traurigkeit sehr aktiv. Ich nicht. Ich denke darüber nach und singe darüber, was mit uns und mit der Welt passiert. Wenn ich von meinen Eltern singe, wie sie den Krieg überlebten und alles dafür taten, dass ihre Kinder eine schöne Kindheit hatten und eine gute Bildung bekamen, mag das melancholisch klingen, aber es ist Glück.    

Denken Sie nach so vielen Auftritten in Deutschland manchmal auch auf Deutsch?

Ja, so wie ich auf Englisch oder Französisch denke, wenn ich in Ländern unterwegs bin, wo diese Sprachen gesprochen werden. Vor allem solche Dinge wie "links abbiegen" oder "geradeaus durchgehen" denke ich auf Deutsch.  

In Ihrem neuen Album singen Sie: Es gibt keinen Gott, der sagt, dass Ihr Sohn keinen Mann lieben darf und Ihre Tochter keine Frau …

Das Lied ist autobiografisch, meine Tochter ist verheiratet mit einer Frau, die katholisch ist. Warum sollte Gott damit nicht einverstanden sein? So viele Menschen sagen, sie sprächen im Namen Gottes, aber das ist nur eine Behauptung. Was ich nicht verstehe: Wie können die so überzeugt von sich sein und anderen Menschen sagen, was sie zu tun und zu lassen haben?

Zur Person:

  • Geboren am 14. März 1945 in Utrecht, Niederlande
  • Vielseitig: Trat erstmals 1965 in einem Soloprogramm auf, wurde 1972 fürs deutsche Fernsehen entdeckt. Erste Hits in Deutschland: "Ich hab’ ein zärtliches Gefühl", "Weg da", "Kleiner Fratz". Mit Ente Alfred eroberte er auch die Herzen der Kinder. 2016 tritt van Veen wieder an zahlreichen Orten in ganz Deutschland auf. 
  • Väterlich: Er hat zwei Söhne und zwei Töchter und lebt in dritter Ehe mit der Tänzerin Gaëtane Bouchez in Soest bei Utrecht.

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