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Was Sie bewegt, setzen Sie in Lieder um. Beneidenswert, macht aber auch öffentlich und verletzlich, oder?

Ich weiß ja inzwischen, wo die Grenze verläuft. Früher habe ich mir hier und da schon mal zu sehr in meine Privatsphäre reinschauen lassen. Da hätte ich manches Lied lieber unkommentiert gelassen, statt gleich im Begleittext zu erzählen, dass da etwas nicht okay war.

Ist man als Liedermacher auch sein eigener Therapeut?

Auf jeden Fall. Ich habe wirklich großes Glück: Ich kann mich zum Therapeuten Niedecken auf die Couch legen und alles rauslassen.

Zur Person:

  • Geboren: 30. März 1951 in Köln
  • Kölscher Rocker: Seine Eltern betrieben einen Tante-Emma-Laden. Er ist Sänger, Texter und Komponist der Band BAP seit deren Gründung 1976. Studierte Freie Malerei und Kunstgeschichte. Niedecken mal auch weiterhin und stellt aus.
  • Kölsche Jung: Mit seiner ersten Ehefrau Carmen hat Niedecken zwei Söhne (33 und 31), aus seiner zweiten Ehe mit Tina (seit 1994) zwei Töchter (23 und 21).

Sie bezeichnen sich als "melancholische Frohnatur". Wie drückt sich das aus?

Mich kann etwas dermaßen mitnehmen, dass ich ganz schwer wieder hochkomme. Andererseits bin ich bei Situationskomik der Letzte, der zum Lachen in den Keller geht. Das ist sehr befreiend. Ich kann mich streiten, kann auch schon mal sauer sein, aber meine Leute wissen, dass ich nach zwei Minuten auch wieder lachen kann. Bei mir ist das Glas oft halb leer, bei meiner Frau ist es immer halb voll. Das gleicht sich wunderbar aus.

Sie arbeiten sich in Ihren Liedern an Ungerechtigkeiten und Missständen ab. Verzweifeln Sie da beim Blick auf die Weltlage? 

Es ist wirklich zum Verzweifeln. Gerade was das Wiedererstarken des Populismus betrifft. Darüber denke ich immer wieder nach.

Ermüdet Sie das? Oder sagen Sie: "Jetzt erst recht!"

Es ermüdet einen schon, aber: Kräfte sammeln und weiter! Ich habe nicht vor zu resignieren. Keine Ahnung, wie lange mir das noch gelingt. Aber sobald man da nachlässt, übernehmen die Populisten überall. Die Demokratie ist in Gefahr. Sie ist immer noch das beste System, das der Menschheit jemals eingefallen ist.

Ihre neue Solo-CD dreht sich um die Familie ... 

Schon auf "Zosamme alt", meinem letzten Solo-Album, waren lauter Stücke, die ich in 25 Jahren irgendwann mal für meine Frau geschrieben habe. Mit dem Album wollte ich ihr dafür danken, dass sie mir nach meinem Schlaganfall das Leben gerettet hat. Innerhalb einer halben Stunde war ich in der Neurologie, und dort wurden alle nötigen Schritte eingeleitet. Das war ganz großes Kino. In New Orleans haben wir jetzt das "Familienalbum" aufgenommen, 14 Stücke, die sich mit meiner Familie beschäftigen, eins davon, der Titelsong, ist ganz neu.

Warum ist Familie so wichtig?

Sie stellt die Weichen in unserem Leben. Als Jungspund muss man notgedrungen den Abnabelungsprozess schaffen, und die "Alten" dürfen dabei auch nicht im Wege stehen. Sich abzunabeln ist ein schwerer Prozess – aber für die Eltern ist es ebenfalls schwer. Von meiner Mutter konnte ich mich leicht abnabeln, sie konnte gut loslassen. Außerdem hatten wir ein sehr gutes Verhältnis. Sie half mir bei allen noch so abwegigen Ideen. Mit meinem Vater bin ich beim Abnabeln komplett aneinandergeraten. Bis wir schließlich über nichts mehr reden konnten …

Das Thema des berühmten BAP-Stücks "Verdammp lang her".

Ja, es handelt von einem Gespräch, das nie stattfand, zusammengesetzt aus lauter Sätzen, die irgendwann mal zwischen uns gefallen sind. Mittlerweile kann ich meinen Vater so gut verstehen, wie ich mir das nie hätte vorstellen können. Er war der Ben Cartwright von unserem elterlichen Lebensmittelladen, er war für alles Wirtschaftliche zuständig und hatte als Einziger einen Plan.

Wie hat es Sie geprägt, ins Nachkriegs-Deutschland hineingeboren zu werden?

Ich hatte eine wunderbare Kindheit. Köln war furchtbar zerbombt, aber wir Kleinen spielten in den Trümmern. Meine Eltern konnten mich bedenkenlos zum Fußballspielen auf die Straße lassen, es gab nur wenige Autos, wir sind aus vielen Augen beobachtet und beschützt worden, die Kölner Südstadt war wie ein Dorf.

Sie singen auf Kölsch. Wird das immer so bleiben?

Wir Kölner singen ja schon beim Sprechen. Im Kölsch kannst du Endungen und Anfänge wunderbar miteinander verschleifen. Ich werde weiter auf Kölsch singen, bis einer von uns ausstirbt – der Dialekt oder ich. Aber ich denke, Kölsch wird mich überleben.

"Alter ist nur relativ", heißt es in einem Ihrer Lieder. Machen Sie sich auch auf diese Weise Mut?

Jeder, der mir erzählt, es wäre toller, alt zu sein, der lügt. Natürlich ist es schöner, jung zu sein. Das Alter hat einige Vorteile: Gelassenheit und Weisheit nehmen zu, man fällt nicht so schnell auf etwas herein, weil man viel Lebenserfahrung angesammelt hat. Das ist wunderbar. Aber auch die Sollbruchstellen nehmen zu. Um die muss man sich kümmern. Wenn ich nicht jeden Morgen und jeden Abend meine Übungen mache, meldet sich mein Bandscheibenvorfall, und das tut einfach scheiße weh. Ich weiß, dass ich die Verantwortung mir gegenüber weiter wahrnehmen muss. Ich kann mich nicht hängen lassen, das wäre gegenüber meiner Familie und allen, die von mir abhängen, unverantwortlich.

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