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Sie spielen viel Boulevardtheater – haben Sie mit dem Kabarett abgeschlossen?

Jochen Busse: Ja. Die meisten Texte haben andere für mich verfasst, irgendwann fehlte der Stoff, und es wurde fad. Dietmar Jacobs hat mir noch ein sehr schönes Solo-Programm geschrieben, und als ich dann mit 72 Jahren zum ersten Mal allein auf der Bühne stand – das war mein Element, das gebe ich zu. Aber das Drumherum! Die Fahrerei und diese miefigen alternativen Bühnen – das möchte ich nicht mehr.

Ist das Kabarett insgesamt ein Auslaufmodell?

Sie können nur über etwas Witze machen, wenn der andere das gleiche Vorwissen hat. Früher gab es einen gewissen Bildungsstandard, den man beim Publikum erwarten konnte. Heute informiert sich jeder anders, nach individuellem Interesse, das macht es fürs Kabarett sehr schwer. Darum sind ja momentan die Comedians so gefragt, die brauchen das nicht.

Wie entstand der unbändige Wunsch, zum Theater zu gehen?

Meine Eltern waren mit einem Ehepaar befreundet. Dessen Tochter fragte mich eines Tages: "Willst du meinen Kasper sehen?" Das war ein original Hohensteiner Kasper! Und da war ich verliebt. Nicht in das Mädchen – in diesen Kasper. Ich erbettelte mir meinen eigenen und fing an zu spielen, sogar auf der Kirmes. Das Kasperletheater war meine erste und einzige Intendanz.  

Und das hat sich ohne Bruch fortgesetzt? 

Ja. Auch wenn Budenzauber in unserem Provinznest noch als Gauklertum verpönt war. Mein Vater hielt alle Schausteller für Juden, er vertraute nur Offizieren. Das war eine antisemitische, faschistische Bande bei uns zu Hause, alle wie sie da waren. Auch nach 1945 wurde am Tisch mit sehr viel Verständnis über Hitler und seine Schergen gesprochen.

Hatten Sie ein schauspielerisches Vorbild?

Das war der schon 1940 verstorbene Ralph Arthur Roberts. Der hatte ein eigenes Theater und große Filme gemacht, etwa "Der Maulwurf". So ein Kaisertreuer, der trug nichts lieber als Uniform. Mir gefiel dieser Kasino-Ton, den kannte ich von meinem Vater. Und auch die Leute, die er spielte, mit so einer Begriffsstutzigkeit, erkannte ich wieder. Darin sah ich eine Verwandtschaft zu dem, was ich machen wollte.

Die direkte Linie zu den Spießern, die Sie etwa in der Serie "Das Amt" spielten?

Absolut. Die kannte ich, mit denen bin ich groß geworden und mit ihren Lebenslügen. Die sich alle was vormachen, sich in eine Uniform flüchten, weil sie sonst nackt sind. Als sich mein Patenonkel einen Mercedes anschaffte, war keine Ruhe mehr im Haus, weil wir keinen hatten. So war das ständig.

Was macht einen Spießer aus?

Wir haben alle einen in uns. Das liegt an unserer – wie sagt Frau Merkel immer? – jüdisch-christlichen Erziehung mit ihren Werten, denen wir nacheifern, denen wir uns angleichen, auch weil sie die Karriere begünstigen. Meine Mutter sagte immer: "Exponier dich nicht!" Unauffällig durchs Leben zu gehen war für sie das Wichtigste.

Was Sie über Ihr Elternhaus erzählen, klingt anstrengend. 

Das war es auch. Aber ich erkannte früh, dass meine Eltern arm dran waren, weil ihnen keiner gezeigt hatte, wie es richtig ist. Ich wollte alles anders machen, kein Abitur, nicht studieren, so frei wie ein Naturkind in dieser Gesellschaft zurechtkommen.

Warum kennt man Sie dann vor allem in Schlips und Anzug?

Weil ich auch meine Prägungen habe. Meine ganze Haltung, wie ich mich gebe und benehme, das kommt alles aus dieser Zeit. Anders fühle ich mich nicht wohl. Außerdem bin ich sehr schwer schlecht anzuziehen.

Aber das hat Sie nicht davon abgehalten, 1969 den laut Ihrer Aussage ersten nackten Mann im deutschen Film zu spielen?

Na ja, ich war zwar kein Muskeltyp, aber auch nicht schlecht gewachsen. Damals ging es los mit den ersten erotischen Kinofilmen.

Sie waren jung und brauchten das Geld?

Es gab nichts anderes. Ich wollte meinem Beruf nachgehen, und die Rolle, die ich nackt spielte, hätte ich angezogen nie bekommen. Als Kabarettist verdiente ich gerade so die Miete, der Rest kam von meiner Frau. Und es waren zum Teil richtig gute Regisseure, die diese Filme machten.

Sie sollen Gerhard Schröder Kleidungstipps gegeben haben ...

Ja. Ich ziehe etwas an und das sieht gut aus, dafür kann ich nichts. Gerd mochte das. Und er hat eine unglückliche Figur, oben ein Schrank, unten kurze Beine, kurze Arme. Er fragte mich, und was ich wusste, sagte ich ihm. Ich habe nie verlangt, dass es Brioni sein muss ...

Warum schwärmen Sie eigentlich so für Yoga?

Ich kann Yoga wirklich jedem empfehlen, der keine sportlichen Ambitionen hat, aber trotzdem etwas machen möchte. Du kannst es überall machen und stehst in keinem Wettbewerb. Aber es führt dich immer wieder zurück zum Atmen. Jedes Mal fängst du wieder von vorne an zu atmen, als hättest du noch nie in deinem Leben geatmet. Weil es dir plötzlich bewusst wird. Der Körper entspannt sich wirklich im besten Sinne.

Meditieren Sie auch?

Immer zehn Minuten nach dem Yoga. Ich sitze da und fühle nichts anderes als das Wort "Jetzt". Ich mache seit 35 Jahren Yoga, sechsmal die Woche. Morgens ziehe ich zehn Minuten Öl durch die Zähne und schwinge dabei einen Hula-Hoop-Reifen. Dann bin ich fit für den Tag.

Setzen Sie sich mit dem Älterwerden auseinander?

Ich denke jeden Tag an den Tod. Das kommt einfach so. Darum kann ich damit umgehen. Man sollte jederzeit in der Lage sein abzutreten. Das berühmte Loslassen trainiere ich schon sehr lange.

Sie sind zum vierten Mal verheiratet. Sind Sie ein unverbesserlicher Optimist?

Es gibt den einen Satz, der jede Frau glücklich macht: "Möchtest du mich heiraten?" Wenn man glaubt, man liebt jemanden, dann sagt man den Satz, auch wenn man nach zwölf Jahren merkt, es ist etwas passiert, das diese anfängliche Überzeugung infrage gestellt hat. Das ist, wenn Sie so wollen, Optimismus.

Zur Person:

  • Jochen Busse wurde am 28. Januar 1941 in Iserlohn geboren.
  • Lachen: Gehörte bis 1991 zum Ensemble der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Zahlreiche Film- und TV-Rollen, u.a.  "Das Amt".
  • Lieben: Busse ist Vater eines Sohnes (23) und wohnt mit seiner vierten Ehefrau und deren Zwillingen in Berlin.

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