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Den Menschen sehen

Problem: Viele reduzieren einen gehörlosen, blinden oder gehbehinderten Menschen auf seine Behinderung. Sie sehen nur die Einschränkung. Auch wenn eine Behinderung durch Krankheit entstehen kann: Viele von ihnen fühlen sich nicht krank, sondern gesund.

Tipp: Machen Sie sich bewusst, dass eine Behinderung nicht den Menschen ausmacht, sondern ihn vielmehr prägt und auszeichnet. In erster Linie ist jemand Friseur, Steuerberater, Großmutter oder Musiker, liebt Kochen, geht gerne spazieren oder spielt leidenschaftlich Skat. Aus diesem Grund klingt "Mensch mit Behinderung" viel empathischer und respektvoller als "Behinderter".

Konkrete Angaben machen

Problem: Kommunikation erfolgt in der Regel über akustische und optische Informationen. Bei blinden Menschen entfällt eine Ebene. Mit der Aufforderung "Komm, setzen wir uns da drüben hin" kann ein blinder Mensch nichts anfangen.

Tipp: Blinde Menschen brauchen möglichst konkrete Beschreibungen, um sich in einer neuen Umgebung besser zurechtzufinden. Etwa "Vier Meter geradeaus steht unser Tisch". Menschen mit Hörbehinderung sind auf erklärende Schrifttexte, Bilder sowie auf Untertitel in Film und Fernsehen angewiesen.

Mit der richtigen Person reden

Problem: Viele Nichtbehinderte sprechen nur mit den Begleitpersonen – über den Kopf der behinderten Person hinweg, als ob diese nicht anwesend wäre und für sich sprechen könnte. Das ist verletzend.

Tipp: Sprechen Sie Menschen mit Behinderung direkt an. Wer eine Hörbehinderung hat, mit dem sollten Sie zudem langsam und laut sprechen. Viele verfügen über ein Restgehör oder benutzen Hörgeräte. Gehörlose Menschen brauchen Blickkontakt. Viele können von den Lippen ablesen – solange dies nicht durch einen Mund-Nasen-Schutz erschwert ist.

Rücksicht statt Mitleid

Problem: Aus Unwissenheit oder Gedankenlosigkeit werden barrierefreie Parkplätze genutzt, Rollatoren unkommentiert aufgeräumt, der Blindenhund weggelockt oder gefüttert.

Tipp: Jeder möchte als gleichwertig behandelt und nicht ständig auf seine Handicaps hingewiesen werden. Wer einfach geduzt wird, fühlt sich wie ein kleines Kind. Respekt vor anderen schließt den Respekt vor den Dingen ein, auf die Menschen mit Behinderung angewiesen sind, wie Gehhilfen und Blindenhunde.

Übrigens: Gängige Redewendungen empfinden diese in der Regel nicht als respektlos. Sagen Sie ruhig "Auf Wiedersehen" zu einem blinden Menschen oder "Kommen Sie bitte mit" zu einem Rollstuhlfahrer.

Helfen nur auf Nachfrage

Problem: Den Rollstuhlfahrer über die Bordsteinkante schieben, einer gehbehinderten Seniorin etwas vom hohen Supermarktregal herunterreichen, dem blinden Menschen den Fahrplan vorlesen – Hilfsbereitschaft ist für die meisten selbstverständlich. Aber will unser Nächster überhaupt, dass man ihm zur Hand geht? Und wie nimmt man am besten Kontakt auf?

Tipp: Fragen Sie erst höflich nach, ob jemand Ihre Hilfe benötigt und, wenn ja, welche. Greifen Sie nicht wortlos zum Rollstuhl, fassen Sie einen blinden Men­schen nicht einfach am Arm, um ihn über die Straße zu ziehen. Hilfsbereitschaft bevormundet nicht. Suchen Sie beim Gespräch den Augenkontakt.

Nett plaudern ohne Leid

Problem: Sichtbare Behinderungen nehmen manche zum Anlass, über eigene Krankheiten und Handicaps zu sprechen. Unfreiwillig erfährt man dann von seinem Gegenüber, dass dieser vor Kurzem operiert wurde oder jemanden kennt, der ebenfalls im Rollstuhl sitzt.  

Tipp: Sie können sicher sein: Nur weil jemand eine Behinderung hat, will er nicht unbedingt die Leidensgeschichte von anderen hören. Die kann, muss ihn aber nicht interessieren. Stülpen Sie ihm nicht Ihre eigene Betroffenheit über. Es gibt eine Menge anderen Gesprächsstoff.

Nachgefragt: Verena Bentele ist Präsidentin des Sozialverbands VdK. Die 39-Jährige ist von Geburt an blind

Wenn Menschen ohne Behinderung jemanden treffen, der nicht sehen oder gehen kann, ist der erste Impuls: Ich muss helfen ...
Das ist genau der Punkt. Viele Menschen mit Behinderung sind extrem geübt darin, mit ihrem Handicap umzugehen. Also bitte nicht von Hilf­losigkeit ausgehen! Behinderung heißt oft nur, dass man Dinge anders regelt, etwa einen Rollstuhl nutzt.

Was wünschen Sie sich?
Einfach fragen, ob Hilfe gewünscht ist. Was ich gar nicht leiden kann, und das weiß ich auch von anderen Menschen mit Behinderung: Wenn ich, etwa vor einer Treppe, am Arm oder Rucksack gepackt werde. Das macht mein Leben nicht sicherer.

Brauchen wir mehr Begegnungen von Menschen mit und ohne Behinderung?
Klar. Wir brauchen mehr gemeinsame Erfahrungen, quer durch den Lebenslauf – von der Kita bis zum Sportverein. Das würde vieles vereinfachen.