Wer einen Antrag auf einen Pflegegrad stellt, bekommt in der Regel Besuch von einem Gutachter des Medizinischen Dienstes. In der Corona-Krise waren diese Hausbesuche zeitweise ausgesetzt. Ab Oktober finden sie wieder statt.
von Raphaela Birkelbach , aktualisiert am 20.09.2020
Die Hausbesuche des Medizinischen Dienstes finden ab Oktober 2020 wieder statt – natürlich mit einem Hygienekonzept. Wie Sie sich auf den Termin vorbereiten können, lesen Sie hier. In Ausnahmefällen kann das Gespräch auch telefonisch erfolgen – etwa, wenn Sie in einem Corona-Hotspot leben oder an extremer Immunschwäche leiden.
Wenn Sie derzeit den Antrag auf Pflege stellen, bekommen Sie als Erstes von Ihrem zuständigen MDK einen längeren Fragebogen zugeschickt. Diesen sollten Sie sich in Ruhe durchlesen und sorgfältig ausfüllen. Am besten gemeinsam mit einer Bezugsperson, also beispielsweise Ihrem Angehörigen, der Sie im Haushalt und Alltag unterstützt. Je nach Bundesland müssen Sie diesen Fragebogen gegebenenfalls wieder an den MDK zurückschicken. Machen Sie sich dann auf jeden Fall davon eine Kopie. Nach dem Ausfüllen des Fragenkatalogs führen Sie mit den vom MDK beauftragten Gutachtern das telefonische Gespräch. Dort sprechen Sie dann mit Ihnen die einzelnen Themen noch einmal ausführlich durch.
Ja, die Versicherten erhalten vom MDK ein Schreiben mit einem Terminvorschlag.
In dem Fragebogen (und später im Telefoninterview) erkundigen sich die Gutachter gezielt nach sechs verschiedenen Bereichen der alltäglichen Lebensführung, um den möglichen Pflegegrad zu ermitteln. Sie wollen zum Beispiel wissen, wie mobil Sie oder Ihr pflegebedürftiges Familienmitglied noch sind, wie selbstständig die Körperpflege noch erledigt oder der Alltag gestaltet werden kann.
Was Sie wissen sollten: Der Fragenkatalog basiert auf sehr ausführlichen Richtlinien, die Fragebogen können diese nur in verkürzter Form abbilden. Ratsam ist es daher, sich über die einzelnen Bereiche vorab gut zu informieren, um die Fragen der Gutachter besser einordnen zu können. Je besser Sie darüber Bescheid wissen, umso individueller können Sie in den Antworten auf Ihre ganz spezielle Pflegesituation hinweisen. Ein Beispiel dafür: Im Fragebogen wird gefragt, ob eine Hilfestellung beim Anziehen von Kompressionsstrümpfen erforderlich ist. Pflegefachleute wissen: Bei Anziehhilfen für medizinische Strümpfe besteht ein hoher Bedarf. Daher ist die Frage sinnvoll. Wer aber genauer in die Begutachtungsrichtlinien schaut, erfährt: Es geht bei diesem Themenkomplex auch allgemein um Hilfsmittel, etwa ein Stützkorsett oder orthopädische Schuhe. Wer das weiß und hier Bedarf hat, kann das im Fragebogen entsprechend angeben.
Eine erste Hilfestellung bietet ein Informationsflyer, der Ihnen vom MDK mit jedem Fragebogen zugeschickt wird. Noch ausführlicher können Sie sich im Internet informieren, etwa über die Online-Seiten der Verbraucherzentralen oder des MDK.
Kostenlose Pflegeberatung bieten auch die zuständige Pflegekasse oder Pflegestützpunkte, wegen der Corona-Krise erfolgt die Beratung derzeit ausschließlich telefonisch. Diese Beratung ist in der Regel ausreichend. Aber auch selbstständige und unabhängige Pflegeberater helfen einem weiter, allerdings müssen Sie diese Dienstleistung bezahlen. In sehr komplizierten Fällen, wo es um hohe Beträge geht, kann sich diese Investition langfristig auszahlen.
Überlegen Sie, wo Sie beziehungsweise Ihr Angehöriger im Alltag gut alleine zurechtkommen und wo konkret besondere Schwierigkeiten entstehen. Was war der Grund, dass Sie für sich oder einen Angehörigen den Antrag auf einen Pflegegrad gestellt haben? Welche Hilfsmittel benötigen Sie? Wer unterstützt Sie in der täglichen Pflege. Schreiben Sie das am besten auf, damit Sie Ihre Notizen während des Telefonats schriftlich vorliegen haben. Experten empfehlen, detailliert ein Pflegetagebuch über den Zeitraum von ein paar Tagen zu führen. So können Sie praktische Beispiele nennen, wo in Ihrem Alltag Pflegebedarf besteht. Notieren Sie zum Beispiel, was jeden Tag an Hilfebedarf anfällt.
Vordrucke für das Tagebuch finden sich ebenso im Internet. Zum Beispiel hier.
Ja. Besorgen Sie für das Gespräch den derzeitigen Medikationsplan sowie aktuelle Krankenhausberichte oder Gutachten vom Hausarzt, auch eine Liste der benutzten Pflegehilfsmittel ist sinnvoll. Sie können diese Unterlagen dem Fragebogen, den Sie an die Pflegekasse zurückschicken, beilegen. Aber nur aktuelle Berichte und ärztliche Gutachten mitschicken!
In der Regel eine Stunde.
Sicherlich ist das Gespräch zwischen dem Gutachter und der pflegebedürftigen Person sowie seiner Bezugsperson beim persönlichen Hausbesuch die beste Methode, um einen Unterstützungsbedarf einzuschätzen. Der Experte kann das Wohnumfeld und die Körpersprache des Pflegebedürftigen beurteilen.
Das Telefoninterview plus der Fragebogen sind in der Corona-Krise aber ein guter Kompromiss. Nur so ist es derzeit möglich, pflegebedürftigen Menschen notwendige Hilfen und Leistungen aus der Pflegeversicherung zukommen zu lassen und sie gleichzeitig vor Infektionen zu schützen.
Außerdem: Die Gutachter sind geschult, und das Telefonat ist sehr ausführlich. So kann sich der Fragesteller auch ohne direkten Kontakt mit dem Befragten ein gutes Bild von der häuslichen Situation machen. Gemeinsam mit den vorliegenden Unterlagen und dem Fragebogen bieten die Eindrücke eine gute Grundlage, um ein Pflegegutachten zu erstellen. Und: Wenn Sie als Pflegebedürftiger oder Angehöriger mit der Einschätzung nicht einverstanden sind, können Sie dagegen Widerspruch einlegen (siehe unten!).
Ein guter Leitfaden für das Gespräch ist der Fragebogen. Hier werden die Themen angesprochen, bei denen der MDK-Experte auch im Telefonat nachhakt. Sprechen Sie an, wenn Ihnen nach dem Ausfüllen des Fragebogens noch weitere Aspekte eingefallen sind, die Ihnen am Herzen liegen.
Ja. Das ist in der Regel sogar ratsam oder notwendig. Zum Beispiel kann sich jemand, der demenzkrank ist oder einen Schlaganfall erlitten hat, oft nicht mehr gut verständigen. Oder es kommt vor, dass jemand die gestellten Fragen geistig nicht mehr erfasst.
Dann führt der Angehörige oder gesetzliche Betreuer das Gespräch.
Aber auch so gilt: Angehörige oder andere wichtige Bezugspersonen und können die Pflegesituation gut beurteilen. Sie können dem Gutachter weitere wertvolle Informationen liefern.
Die pflegebedürftige Person ist, sofern sie das Gespräch führen kann, der Hauptansprechpartner für den Gutachter. Es geht um deren Situation und Bedürfnisse.
Sie schätzen aber vielleicht als Angehöriger in vielen Fällen den bestehenden Pflegebedarf anders und realistischer ein. Das sollten Sie auch anbringen. Gehen Sie dabei sensibel vor. Sonst können Sie Ihren Verwandten verletzen, wenn Sie ihm zu offensichtlich öfter ins Wort fallen und ihn korrigieren – und das im Beisein Dritter.
Meist kann der Gutachter das Interview so führen, dass sich alle Beteiligten auf Augenhöhe mit einbringen können.
Außerdem: Sie haben als Bezugsperson der pflegebedürftigen Person grundsätzlich ein Anrecht auf ein Einzelgespräch mit dem Gutachter. Das kann sinnvoll sein, wenn Sie unangenehme Angelegenheiten ansprechen müssen. Etwa die Tatsache, dass der auf Hilfe Angewiesene inkontinent ist oder nachts im Haus umherirrt.
Vereinbaren Sie in dem Fall ein Einzelgespräch – möglichst sensibel, damit sich der Pflegebedürftige nicht übergangen fühlt.
Nein, das ist aus Datenschutzgründen nicht erlaubt. So wie es auch bei einem Hausbesuch verboten ist, das Gespräch zu filmen oder aufzunehmen.
Nein, auch hier sprechen Datenschutzgründe dagegen.
Die Pflegekasse schickt dem Antragsteller den Bescheid zu, ob und welchen Pflegegrad sie für ihn ermittelt hat.
Normalerweise muss die Pflegekasse dem Versicherten die Entscheidung über den möglichen Pflegegrad innerhalb von 25 Werktagen mitteilen. Diese Frist ist bis zum 30. September ausgesetzt. Das bedeutet, die Bearbeitung eines Antrages kann auch länger dauern.
Ganz wichtig: Es gibt Ausnahmen. Bei Begutachtungen mit einem besonders dringenden Entscheidungsbedarf gilt die Frist weiterhin. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn sich der Krankheitszustand massiv verschlechtert, jemand die Unterstützung eines Pflegedienstes braucht oder ins Pflegeheim muss. Oder wenn jemand zum ersten Mal einen Antrag auf häusliche oder stationäre Pflege stellt.
In der Regel müssen Sie innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen. Der Rat von Experten, wenn Sie das tun wollen: Lassen Sie nicht unnötige Zeit verstreichen. Legen Sie umgehend schriftlich Widerspruch ein, und verschicken Sie ihn als Einschreiben mit Rückschein. Es gilt das Datum des Eingangs bei der Pflegekasse. So können Sie im Streitfall nachweisen, dass der Widerspruch fristgerecht bei der Pflegekasse angekommen ist. Es reicht hier zunächst der Hinweis, dass Sie mit dem vorliegenden Bescheid nicht einverstanden sind und Einspruch gegen den Bescheid erheben. Die Begründung können Sie später nachreichen.
Fachliche Beratung:
Gisela Rohmann, Juristin im Fachbereich Gesundheit und Pflege bei der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz
Bernhard Fleer, Diplom-Pflegewirt und Berater beim Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkasse (MDS)