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Professor Andrew Ullmann, 61, ist Vorsitzender des Unterausschusses Globale Gesundheit des Deutschen Bundestags. Im Interview erklärt der Mediziner, warum Europa mittelfristig davon profitieren könnte, wenn Afrika seine Arzneimittelproduktion erheblich steigern würde.

Herr Professor Ullmann, Deutschland und Europa haben ihre Unterstützung für mehr Arzneimittelproduktion in Afrika zuletzt verstärkt. Warum?

Andrew Ullmann: Die Pandemie hat noch einmal sehr schmerzhaft offengelegt, wie abhängig der globale Süden im Arzneimittelbereich ist. Weltweit hat jedes Land zunächst die eigene Bevölkerung mit Corona-Impfstoffen versorgt. Wer wie Afrika nicht selbst über eine Impfstoff-Produktion verfügte, musste lange warten – mit zum Teil dramatischen Folgen. So etwas darf sich in Zukunft nicht wiederholen.

Was muss sich verändern?

Ullmann: Die Afrikanische Union hat sich ein Ziel gesetzt: Bis 2040 möchten die Staaten 60 Prozent des Impfstoffbedarfs auf dem Kontinent aus eigener Produktion stemmen. Aktuell liegt der Anteil bei weniger als 1 Prozent.

Das klingt ambitioniert – aber wie realistisch ist das aus Ihrer Sicht?

Ullmann: In vielen afrikanischen Ländern gibt es einen starken politischen Willen, dieses Ziel zu erreichen. In Südafrika, Senegal, Ghana, Ägypten und Ruanda zum Beispiel werden bereits Medikamente hergestellt, zum Teil sogar sehr erfolgreich. Allerdings entspricht die Produktion nicht immer westlichen Standards. Hier gibt es noch viel zu tun. Der Aufbau der African Medicines Agency (AMA) war sicher ein wichtiger Schritt. Sie soll für einheitliche Qualitätsstandards sorgen.

Zur Person

Professor Andrew Ullmann (FDP) leitet den Unterausschuss Globale Gesundheit im Deutschen Bundestag. Im Frühjahr ist der Infektiologe gemeinsam mit Ausschusskolleginnen und -kollegen zu politischen Gesprächen nach Südafrika und Ruanda gereist. Im Mittelpunkt der Delegationsreise stand der Ausbau der Arzneimittelproduktion in Afrika.

Die AMA orientiert sich am Vorbild der Europäischen Arzneimittelagentur. Welche Rolle spielt Europa beim Aufbau von Produktion in Afrika?

Ullmann: Europa leistet auf vielen Ebenen wichtige Unterstützung. Allein Deutschland investiert rund 600 Millionen Euro in diverse Projekte, liefert aber auch Know-How. Unser Ziel ist, die Rahmenbedingungen für die Produktion zu verbessern. Es reicht nicht, einfach nur Fabriken hochzuziehen. Durch Corona ist in Europa die Erkenntnis gewachsen, dass wir Verantwortung tragen. Denn: Eine Pandemie lässt sich nur eindämmen, wenn alle Länder gleichberechtigt Zugang zu Impfstoffen und Arzneimitteln bekommen. Unabhängig davon könnte Europa auch direkt von einer Diversifizierung der Lieferketten durch mehr Produktion in Afrika profitieren.

Ob die Länder mittelfristig bis nach Europa exportieren, wird sich zeigen. Aber die Erwartungen sind groß

Afrika könnte mittelfristig also auch Medikamente nach Europa exportieren?

Ullmann: Zunächst einmal geht es den afrikanischen Staaten darum, ihre eigene Bevölkerung mit Medikamenten zu versorgen. Ob die Länder mittelfristig bis nach Europa exportieren, wird sich zeigen. Aber die Erwartungen sind groß.

Wie meinen Sie das?

Ullmann: In afrikanischen Staaten lässt sich unter Umständen günstig produzieren, da die Lohnnebenkosten dort niedriger liegen als bei uns. Das macht Afrika als Standort attraktiv und fördert gleichzeitig Entwicklung und Wohlstand.

Wie groß ist denn das Interesse der Pharmaindustrie am afrikanischen Markt?

Ullmann: Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Klar ist aber: Allein auf politischer Ebene können wir die Probleme nicht lösen. Wir brauchen zusätzlich privatwirtschaftliche Initiativen und Unternehmenspartnerschaften. Das gilt sowohl für den Aufbau neuer Produktion als auch für die Modernisierung bestehender Werke.

Welche Rolle spielen die politischen Verhältnisse? Die Lage vor Ort ist nicht überall stabil.

Professor Andrew Ullmann leitet den Unterausschuss Globale Gesundheit.

Professor Andrew Ullmann leitet den Unterausschuss Globale Gesundheit.

Ullmann: Natürlich ist auch die politische Stabilität vor Ort entscheidend für die Investitionsbereitschaft der Industrie. In einigen Ländern gibt es aber bereits Leuchtturmprojekte, darunter in Ruanda. Dort hat Biontech zuletzt ein Impfstoffwerk aufgebaut.

In der Produktion werden viele Fachkräfte gebraucht. Kann Afrika diesen Bedarf überhaupt decken?

Ullmann: Das ist tatsächlich eine große Herausforderung, aber viele Länder sind bereit, zu investieren. Ruanda beispielsweise plant eine breit angelegte Bildungsreform, um an den Schulen die Fachkräfte von morgen ausbilden zu können. Natürlich kommt zugleich Unterstützung aus dem Ausland. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung etwa hilft bei der Qualifizierung von Fachkräften – für die Produktion, aber auch für die Arbeit der Regulierungsbehörden vor Ort.

Aktuell ist der Kontinent in allen Bereichen abhängig von Importen, vor allem aus Indien und China

Abgesehen von Impfstoffen: Welche Medikamente könnte Afrika in Zukunft produzieren?

Ullmann: Neben Impfstoffen werden auch Mittel gegen HIV, Malaria und Tuberkulose in Afrika dringend gebraucht. Aktuell ist der Kontinent in allen Bereichen abhängig von Importen, vor allem aus Indien und China. Daran wird sich allerdings nur dann etwas ändern, wenn es gelingt, die gesamte Produktionskette nach Afrika zu holen. Das heißt: Es reicht nicht, wenn vor Ort Wirkstoffe in Tabletten gepresst werden. Auch die Arzneimittelrohstoffe selbst müssen in Afrika hergestellt werden.

Mehr Produktion vor der eigenen Haustür, das versuchen wir auch in Deutschland zu erreichen. Wie weit sind wir schon gekommen?

Ullmann: Es gab Fortschritte. In Deutschland haben wir mit dem Impfstoffwerk in Marburg bewiesen, dass wir schnell sein können, wenn es darauf ankommt. Die Produktion wurde noch während der Pandemie in nur neun Monaten hochgezogen. Nach diesem Vorbild müssen wir Genehmigungsprozesse weiter verschlanken und Bürokratie abbauen, so wird Deutschland attraktiver als Produktionsstandort. Von heute auf morgen kann das allerdings nicht gelingen. Nachhaltige Erfolge wird man vermutlich erst nach fünf bis zehn Jahren sehen können.