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Frau Guttmann, gibt es einen ­Moment, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist im Hinblick auf Ihr Muttersein und Alkohol?

Jenny Guttmann: Der beste Moment war zweifellos, als ich entschieden habe, mit dem Trinken aufzuhören. Das war ein Befreiungsschlag. Und ­schlechte Momente gab es leider viele.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Eines Mittags war ich völlig verkatert auf dem Weg zum Klo. Mir war so schlecht. Meine kleinen Kinder fragten mich, was mit mir los ist. Ich habe ihnen gesagt, ich sei krank. Als ich wieder im Bett lag, hörte ich sie sagen, wie leid ich ihnen tue. Sie waren so voller Mitgefühl. Da habe ich mich schrecklich geschämt. Nicht nur, dass ich getrunken hatte. Ich hatte sie auch noch angelogen. Ein Moment mehr, in dem ich mir wie eine schreckliche Versagerin als Mutter vorkam.

Können Sie Ihre aktuelle Lebens­situation kurz einordnen?

Seit 2016 bin ich alleinerziehend. Ich habe drei Mädels mit 17, 13 und acht Jahren. Zu denen gibt es zwei Väter. Der Kontakt mit meinen Ex-Partnern ist gut. Aber für eine Beziehung hat es einfach nicht mehr gereicht.

Wie kam der Alkohol in Ihr Leben?

Mein Vater hat gelegentlich ein Bier ge­trunken, meine Mutter so gut wie nichts. Ich habe als Jugendliche auf Partys mal hier einen Sekt, mal da ein Bier probiert. Dann bin ich in die Punkszene gekommen. Das war schon extremer, weil das Trinken verherrlicht wurde. Aber egal, in welchen Kreisen ich mich bewegt habe: Trinken war und ist doch überall normal. Da bin ich nicht aufgefallen. Weder in der Schule noch während des Studiums oder im Beruf.

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Was hat sich geändert, als Sie zum ersten Mal Mama wurden?

Ich war 28. Während der Schwangerschaft habe ich keinen Tropfen getrunken, auch nicht in der Stillzeit. Ich hatte ja ein Lebewesen im Bauch, um das ich mich kümmern musste. So habe ich das auch strikt bei meinen anderen Töchtern gehalten. Aber als ich nach sechs Monaten abgestillt hatte, habe ich auch wieder Alkohol getrunken. Das hat sich so gesteigert, dass ich nach und nach immer mehr trank und die Kontrolle verloren habe.

Was hat Sie dazu getrieben?

Ich war zum ersten Mal Mutter. Natürlich habe ich mein Baby geliebt. Aber alles war neu und anstrengend. Die Nächte, das Übermüdetsein, immer am Limit zu sein. Ich verkläre das auch nicht. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass mein altes Leben und meine Freiheit völlig weg sind. Durch das Trinken wollte ich abschalten. Ich wollte das Muttersein ein bisschen abstreifen. Zum Ende hin war es sehr schlimm.

Was war passiert?

Das war ab 2016. Ich war endgültig überfordert von meiner Mutterrolle, die Arbeit war belastend, die finanzielle Verantwortung für meine Töchter groß. Mein Vater war gestorben und ich steckte in einer toxischen Beziehung. Trinken war für mich der einzige Ausweg geworden. Wenn meine Töchter bei ihren Papas aufgehoben waren, habe ich getrunken, bis ich einen Filmriss hatte. Und das war auch mein Ziel.

Hat denn niemand gesagt: „Jenny, du machst dich kaputt“?

Ich habe nie schon tagsüber getrunken. Immer am Abend und auch nicht täglich. Ich habe mich mit Leuten getroffen, mit denen ich sonst nix zu tun gehabt hätte. Als Selbst­lüge, dass ich ja immerhin nicht alleine ­trinke. Dann kamen nach einem heftigen Wochenende die Kinder wieder und ich war vollkommen fertig. Das war furchtbar.

Wie haben Ihre Töchter reagiert?

Sie haben es nicht begriffen. Zumindest nicht, dass es am Alkohol liegt. Im Kühlschrank hatte ich nie viel auf Vorrat. Ich habe immer auf Bedarf hin gekauft. Aber was mir wahnsinnig leidtut: dass ich es gerade bei meiner jüngsten Tochter nicht mehr geschafft habe, sie in Ruhe ins Bett zu bringen. Stattdessen dachte ich: Wann schläft sie endlich, damit ich trinken kann?

Wann kam die Wende?

Ich hatte diese toxische Beziehung. Wir haben sehr viel zusammen getrunken und ich habe mich sehr schlecht behandeln lassen. Ich habe mich gar nicht mehr erkannt. So ein Mensch war ich nie gewesen. Plötzlich wusste ich: Wenn ich von dem Typen los­kommen und meinen Kindern wieder eine gute Mutter sein will, muss ich den Alkohol weglassen. Es war wie ein doppelter Entzug.

Wie haben Sie das geschafft?

Am 10. Oktober 2019 ist mein Sober ­Birthday. Damals bin ich mit meiner Familie für eine Woche nach Gran Canaria geflogen und wusste: Jetzt ist Schluss mit Trinken. Und das war es dann auch.

Sicher kein einfacher Schritt.

Durch den Urlaub hatte ich Abstand. Immerhin war ich nicht körperlich abhängig. Aber psychisch war es heftig. Besonders die Wochenenden. Ich kam mir so einsam und verlassen vor. Dann habe ich von einer Online-Gruppe erfahren – mit anderen, denen es wie mir ging.

Das war vermutlich befreiend …

Dort konnte ich fluchen und schimpfen, wie schlimm alles ist. Ich habe sehr viel Verständnis und Ermutigung ­bekommen. Das hat ungemein geholfen. So habe ich es geschafft, die schreck­liche Zeit auszusitzen und auszuhalten.

Und zu Hause mit den Kindern, wie hat es da geklappt?

Ich habe die Morgen wieder genossen. Ohne verkaterte Matschbirne. Plötzlich war ich wieder richtig fit und wollte etwas mit meinen Kindern unternehmen. Das waren die Glücksmomente, die mich aufrecht gehalten haben.

Wann wurde es leichter?

Nach einem Jahr war ich aus dem Gröbsten raus. Ich habe plötzlich so viel auf die Reihe bekommen und ­wurde immer zuversichtlicher. Heute geht es mir so gut wie lange nicht mehr. Auch mit meinen Kindern.

Was empfehlen Sie anderen ­Müttern im Umgang mit Alkohol?

Es ist sehr schwierig, weil Alkohol gesellschaftlich so anerkannt ist. Gerade bei Müttern wird gerne mal ein Gläs­chen Sekt am Spielplatz getrunken. Ich kann immer nur raten: Seid achtsam mit ­eurem eigenen Konsum und macht euch klar, dass Alkohol eine harte ­Droge ist – auch wenn sie legal ist.

Über Ihre Internetseite sind Sie in Kontakt mit anderen Betroffenen. Was kommt da zurück?

Alle, die aufgehört haben zu trinken, haben ein viel entspannteres Verhältnis zu sich und ihren Kindern. Weil sich ihre Gedanken nicht mehr nur um Alkohol drehen. Und ganz wichtig: Die Scham- und Schuldgefühle sind weg. Stattdessen ist da Stolz auf das, was sie geschafft haben.

Ihre Trinkgewohnheiten bereiten Ihnen Sorge?

Anlaufstellen und Infos finden Sie zum Beispiel unter frauengesundheitsportal.de (Bundes­zen­trale für gesundheit­liche Aufklärung) und eltern-sucht.de (Gesamtverband für Suchthilfe).

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Quellen: