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Düstere Gedanken über ihren eigenen Tod kamen Carina meist abends, wenn sie im Bett lag und einschlafen wollte. „Es hat sich angefühlt wie ein schweres Gewicht auf der Brust“, erzählt die 37-Jährige. Sie hat keine Vorerkrankungen, keine Leiden, die solche Gedanken nahelegen könnten. Trotzdem trieben sie über Monate hinweg immer wieder diffuse Todesängste um, schnürten ihr förmlich die Luft ab. Die schlimmste Vorstellung: an einer plötzlichen Krankheit zu sterben. Oder bei einem Verkehrsunfall aus dem Leben gerissen zu werden. Von einer Minute auf die andere weg zu sein aus dieser Welt – und keine Zeit mehr mit den Liebsten verbringen zu können. Tagsüber verdrängte Carina ihre Ängste, doch jeden Abend kehrten die dunklen Sorgenwolken zurück.

Nicht zu viel Grübeln

Über das Mysterium Tod nachzudenken ist grundsätzlich nichts Seltsames, Verwerfliches oder Ungesundes. Ganz im Gegenteil. „Die Auseinandersetzung mit dem Tod ist naheliegend und ausgesprochen sinnvoll“, sagt Marion Koll-Krüsmann. Für die psychologische Psychotherapeutin aus München gibt es dementsprechend erst mal kein Limit, wie oft wir ans Sterben und an den eigenen Tod denken dürfen. Vorausgesetzt, die Gedanken daran tun gut und geben uns Kraft fürs Leben. „Wenn aber das Nachdenken über den Tod Angst macht und das Leben überschattet, dann ist das eine Situation, die Betroffene genauer anschauen sollten“, so Koll-Krüsmann.

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Auf der Suche nach dem Auslöser

Aus Erfahrung weiß die Expertin: Das Thema Endlichkeit im Erwachsenenalter hat immer einen Auslöser – etwas, das noch nicht verarbeitet ist. Vielleicht konnten Betroffene einen Schicksalsschlag nicht genug betrauern. In der Folge können wie in Carinas Fall vielfältige Ängste entstehen, zum Beispiel die vor dem eigenen Tod. „Wir haben im Mandelkern unseres Hirns ein diffuses Gedächtnis. Da steckt auch die Angst drin. Erst wenn wir uns mit einem Schicksalsschlag ausreichend auseinandergesetzt haben, können wir das Erlebte so abspeichern, dass es keine Angst mehr macht“, erklärt Koll-Krüsmann.

Bei Carina wurden die Todesängste nach der Geburt ihres zweiten Kindes laut: „Eben waren wir noch glücklich, dass unser Sohn auf der Welt ist, da musste er plötzlich beatmet werden. Ich dachte, er stirbt.“ Einige Monate später wurde beim Großvater der jungen Frau Darmkrebs diagnostiziert. Wieder geriet ihre Welt durcheinander. Alles schien so schnell zu gehen, so verletzlich zu sein. Leben und Tod lagen spürbar nah beieinander. Monatelang lebte Carina mit ihren nächtlichen Angstattacken. Sie hoffte, dass die Sorgen einfach verschwinden. Tagsüber schüttelte sie innerlich den Kopf über ihre Gefühle, empfand sich selbst als lächerlich. Doch nachts kehrten die Ängste mit aller Wucht zurück.

Heilsame Gespräche

Irgendwann konnte sie nicht mehr anders und vertraute sich einer Freundin an. Carina war überrascht, dass diese solche Ängste ebenfalls kannte. Der offene Austausch nahm ihr viel Druck. Später öffnete sie sich auch ihrem Mann und sprach mit ihm und den Kindern über den Tod des Opas – und über das Sterben allgemein. Ein heilsames Gespräch für die junge Mutter.

Neben konkreten Verlusten können auch Dinge, die um uns herum passieren, die Angst vor dem Sterben verstärken: Nachrichten über Krieg, die Klimakatastrophe, Panik vor neuen Pandemien. „Solche Ängste verlangen viel Energie, weil man sich innerlich wie für einen Kampf wappnet“, erläutert Psychotherapeutin Koll-Krüsmann. Lässt sich diese Energie aber nicht sinnvoll umsetzen, fühlen sich Menschen hilflos. Eine mögliche Konsequenz sind die Gedanken an Endlichkeit und Tod.

Professionelle Hilfe suchen

Was also tun? Der Rat der Expertin: die dunklen Gedanken nicht wegschieben, sondern genau hinschauen und dann in den Austausch gehen. Mit Freundinnen und Freunden zum Beispiel, mit Familienmitgliedern, guten Bekannten. Alternativ können Betroffene ihre Ängste aufschreiben. „Es gibt Möglichkeiten, seinen Geist zu zähmen“, sagt Koll-Krüsmann.

Und wann ist professionelle Hilfe nötig? Wenn die oder der Betroffene so starke Ängste hat, dass Situationen mit normalem Lebensrisiko bewusst vermieden werden. Etwa, wenn jemand nicht mehr Rad fährt, weil er oder sie Angst hat, im Straßenverkehr zu verunglücken. Oder wenn sich jemand nachts künstlich wach hält, um nicht in der Ruhephase Panik zu bekommen. Solche Vermeidungstaktiken deuten auf eine ungesunde psychische Verfassung hin. Dann empfiehlt Koll-Krüsmann, sich Unterstützung bei einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten zu holen.

Solange Nachdenken über den Tod Kraft fürs Leben gibt, ist es okay. Je mehr es das Leben blockiert, desto mehr sollte man es angehen.


Quellen:

  • Bundesministerium für Gesundheit: Generalisierte Angststörung, Krankheiten. gesund.bund de: https://gesund.bund.de/... (Abgerufen am 14.06.2023)
  • Marion Koll-Krüsmann: Dr. Marion Koll-Krüsmann, Sicherer Umgang mit Traumafolgestörungen. Online: http://marion-koll-kruesmann.de/... (Abgerufen am 14.06.2023)