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Ab wann ist Lärm schädlich?

Die Umwelt kann krank machen: Lärm ist nach Angaben der Europäischen Umweltagentur der am meisten unterschätzte Risikofaktor für die Gesundheit. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist ein dauerhafter Lärmpegel durch Straßenverkehr von mehr als 52 Dezibel gesundheitsschädigend. Das ist in etwa so laut wie ein Gespräch oder Radiomusik in Zimmerlautstärke.

Nachts ist Lärm laut WHO bereits ab 45 Dezibel gefährlich. Vor allem an Hauptverkehrsstraßen, aber auch an Bahnstrecken oder Einflugschneisen werden diese Werte häufig überschritten. Aber sogar unterhalb der WHO-Grenzwerte kann Verkehrslärm die Gesundheit beeinträchtigen, wie aktuelle Studien zeigen. Prof. Dr. Thomas Münzel, Professor für Kardiologie an der Johannes Gutenberg-Universität, sieht die Grenze für die Entstehung von Diabetes, Herzschwäche oder Schlaganfall bereits bei 35 und 40 Dezibel.

Welcher Lärm ist besonders laut?

Fluglärm ist besonders gesundheitsschädlich. So ist nach dem „Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm“ in der Schutzzone 1, dem lautesten Bereich um den Flughafen, ein Dauerschallpegel von 65 Dezibel erlaubt. Das ist deutlich über den WHO-Grenzwerten, die für den Flugverkehr tagsüber maximal 45 Dezibel zulassen. Die meisten Menschen sind in Deutschland jedoch von Verkehrslärm betroffen. Ein großes Problem hier sind Lkws: Laut Umweltbundesamt (UBA) ist ein Lkw bei Tempo 50 im Durchschnitt so laut wie 20 Pkw. Laut UBA gibt es verschiedene Faktoren, die den Straßenverkehr besonders laut machen können, zum Beispiel die Verkehrsdichte, die Geschwindigkeit oder eine ungünstige Kombination von Reifen und Fahrbahn.

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Wie groß ist das Lärmproblem in Deutschland?

UBA-Präsident Dirk Messner warnt: „Lärm ist nach wie vor ein viel zu stark unterschätztes Gesundheitsrisiko in Deutschland.“ Die Lärmkarte des UBA (Stand 2022) zeigt, dass die WHO-Grenzwerte häufig überschritten werden. An vielen Straßen in Großstädten sind 75 Dezibel und mehr keine Seltenheit. Nach Berechnungen des UBA ist in Deutschland etwa die Hälfte der Bevölkerung einem Straßenverkehrslärm von mindestens 55 Dezibel, nachts 45 Dezibel ausgesetzt. Rund 15 Prozent seien sogar Pegeln von mindestens 65 Dezibel tags und 55 Dezibel in der Nacht ausgesetzt. Dabei habe die Zahl der Lärmquellen in den vergangenen Jahren insgesamt zugenommen – etwa durch Laubbläser oder Großveranstaltungen. Und: Vor allem Haushalte mit niedrigem Einkommen seien betroffen. Denn in Städten wohnten sie oft in dicht besiedelten Gebieten mit großen Straßen.

Nach EU-Recht müssen die Mitgliedsstaaten so genannte Lärmaktionspläne erstellen. Im März hatte die EU-Kommission den Druck auf Deutschland erhöht, weil die Bundesrepublik zwar für Ballungsräume, Schienenwege und Flughäfen solche Pläne erstellt hat, nicht aber für Hauptverkehrsstraßen außerhalb von Ballungsräumen. Kommt Deutschland der Forderung nicht nach, kann die Behörde vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Dann droht eine Geldbuße.

Wie schädigt Lärm die Gesundheit?

Lärm kann auf zwei Wegen die Gesundheit beeinträchtigen:

  • Geräusche von über 100 Dezibel – zum Beispiel Musik in einer Diskothek – können das Gehör direkt schädigen und zu Schwerhörigkeit und Taubheit führen.
  • Ein Dauerpegel von um die 55 Dezibel kann Stress auslösen und so zum Beispiel zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen.

„Studien haben gezeigt, dass dieser Lärm im Gehirn den Sympathikus und damit Stresshormone aktiviert“, sagt Münzel. Bei den Betroffenen sei dann ein erhöhter Spiegel des Stresshormons Cortisol messbar. „Wer über mehrere Jahre diesen Lärmpegeln ausgesetzt ist, entwickelt Risikofaktoren: Der Blutdruck geht hoch, die erhöhten Stresshormonspiegel wie Cortisol steigern die Cholesterinsynthese und erhöhen die Gluconeogenese und damit das Diabetesrisiko.“ Langfristig entwickelten sich so Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzschwäche und Herzinsuffizienz.

Besonders gefährlich sei Lärm in der Nacht, der den Blutdruck deutlich ansteigen lasse, so Münzel. Ein nächtliches Lärmereignis von durchschnittlich 51 Dezibel könne bei Vorerkrankten zwei Stunden später zum akuten Herztod führen. Und: „Der Stress durch Lärm wird durch zu wenig und häufig unterbrochenen Schlaf noch drastisch verstärkt“, sagt Münzel. Zudem wirke sich Lärm nicht nur auf das Herz-Kreislauf-System, sondern auch auf die kognitiven Fähigkeiten aus: „Zuletzt gab es große Untersuchungen, die gezeigt haben, dass bei älteren Menschen die Demenzhäufigkeit drastisch ansteigt, wenn sie jahrelang 60 Dezibel oder mehr ausgesetzt sind.“

Kann man sich an Lärm gewöhnen?

„Weil Stress der Hauptfaktor für lärmbedingte Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist, geht man davon aus, dass man gegen Lärm ein Stück weit widerstandsfähiger oder wie man heute sagt: resilienter werden kann“, sagt Münzel. Eine Studie hat gezeigt, dass Menschen, die sich weniger durch Straßen- oder Fluglärm stressen lassen, auch weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen in einem Zeitraum von fünf Jahren entwickeln. Allerdings: Nachtlärm schadet mehr als Lärm am Tag. „Wir haben bei Medizinstudenten gemessen, wie sich Nachtlärm auswirkt“, sagt Münzel. „Schon innerhalb einer Nacht treten Regulationsstörungen an arteriellen Gefäßen auf“. Dass sich die Schäden durch Vitamin C wieder deutlich bessern, bedeute, dass Lärmstress in der Nacht die Bildung freier Radikale in den Gefäßen ankurbele.

Kann sich der Körper vom Dauerlärm erholen?

In weiteren Studien untersuchte Münzel, ob der lärmbedingte Blutdruckanstieg anhält beziehungsweise wie lange es dauert, bis sich der Blutdruck wieder normalisiert. Dazu wurden Mäuse vier Wochen lang Fluglärm mit Spitzen von 83 Dezibel ausgesetzt. Während dieser Zeit war der Blutdruck konstant erhöht, es hatte sich keine Toleranz entwickelt. Nach Stop der Lärmbelastung verbesserte sich der Blutdruck innerhalb von vier Tagen deutlich und der Stresshormonspiegel sank wieder. Diese Beobachtungen an Mäusen seien durchaus auf den Menschen übertragbar, sagt Münzel.

Wessen Gesundheit ist durch Lärm besonders gefährdet?

Besonders durch den Lärm gefährdet sind Menschen, die bereits an Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden. Eine am Züricher Flughafen durchgeführte Studie habe zum Beispiel gezeigt, dass Dezibelwerte ab 55 zum akuten Herztod führen können, sagt Münzel. Auch ältere Menschen sind durch Lärm gefährdet, weil sie geräuschempfindlicher sind und oft schon Vorerkrankungen haben.

Kinder, die hohen Dezibelwerten ausgesetzt sind, leiden unter kognitiven Entwicklungsstörungen, so Münzel. Vor allem die Bereiche Gedächtnis und Lernen würden negativ beeinflusst. „Konkret bedeutet das, dass die geistige und intellektuelle Entwicklung von Kindern, die in einer lauten Umgebung leben, um bis zu acht Wochen pro Jahr verzögert ist im Vergleich zu Kindern, die in einer ruhigen Umgebung aufwachsen.“

Was tut die Politik und welche Forderungen gibt es?

Bis zum Jahr 2030 soll die Zahl der Menschen, die dauerhaft unter Verkehrslärm leiden, um 30 Prozent sinken. Um dieses Ziel der Europäischen Kommission zu erreichen, muss nach Expertenmeinung aber noch mehr getan werden. Dazu müsse die Politik verschiedene Strategien verfolgen, so das Umweltbundesamt (UBA). Zunächst sollte Verkehr vermieden werden, zum Beispiel durch eine „Stadt der kurzen Wege“. Der Verkehr müsse auf umweltschonende Verkehrsmittel wie Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel verlagert werden.

Auch Tempolimits sind ein Mittel, auf das zum Beispiel die Landesregierung von Baden-Württemberg nach eigenen Angaben setzt. Eine Herabsetzung des Tempolimits von 50 auf 30 nehme der Mensch „wie eine Halbierung des Verkehrs auf der Straße wahr“, heißt es auf der Internetseite des Landes. Eine Umleitung des Lkw-Verkehrs kann laut UBA im Einzelfall die Anwohnerinnen und Anwohner entlasten. Spezielle Fahrbahnbeläge und Reifen fordert zum Beispiel die Umweltorganisation BUND. Lärmschutzmaßnahmen wie Wände oder Tunnel seien aber nur in Kombination mit anderen Maßnahmen sinnvoll, da sie teuer seien. Eine zentrale Forderung von UBA und BUND: Die Zulassungsvorschriften für Autos müssen überarbeitet werden. Laut UBA sind Fahrzeuge, die die aktuellen Vorschriften einhalten, in der Praxis bis zu 20 Dezibel lauter als während der Prüfung.

Um dem Fluglärm zu begegnen, fordert der Kardiologe Münzel das Nachtflugverbot von derzeit 23 Uhr bis 5 Uhr auf den Zeitraum von 22 Uhr bis 6 Uhr auszudehnen. Das entspricht der gesetzlich definierten Nacht. Er plädiert dafür, die existierenden WHO-Grenzwerte für Verkehrslärm in die EU-Gesetzgebung zu übernehmen, wie es bei den Stickstoffdioxid-Werten bereits der Fall ist. Dies hätte zur Folge, dass ihre Einhaltung eingeklagt werden könnte. Wenn Dezibel-Grenzwerte überschritten werden, müssen dann Maßnahmen ergriffen werden: zum Beispiel, dass weniger Flugzeuge starten und landen dürfen.

Außerdem müsse „Lärm als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen anerkannt werden“, sagt Münzel. Umweltfaktoren wie Lärm müssten in die offiziellen Präventionsleitlinien der deutschen und der europäischen Gesellschaften für Kardiologie aufgenommen werden. „Wenn dort steht, dass Lärm krank macht, muss die Politik umgehend handeln.“

Was kann man selbst gegen die Lärmbelastung tun?

Verkehrslärm lässt sich kaum selbst beeinflussen. Nicht jede oder jeder hat die Möglichkeit, deshalb umzuziehen. Ein paar Möglichkeiten, sich zu schützen, gibt es aber doch. Wer an einer stark befahrenen Straße oder Bahnstrecke wohnt, kann Schallschutzfenster und -türen einbauen. Im Garten kann eine Lärmschutzwand oder ein Schutzwall den Lärm abschirmen. Viele Länder und Kommunen unterstützen solche Baumaßnahmen finanziell durch Förderprogramme. Auch in der Wohnung können schallschluckende Teppiche für mehr Ruhe sorgen.

In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, störenden Lärm zu melden. Für innerörtliche Straßen, Gemeinde- und Kreisstraßen ist die örtliche Straßenverkehrs- oder Straßenbaubehörde zuständig. Dort kann jede Bürgerin und jeder Bürger eine Geschwindigkeitsbegrenzung beantragen. Für den Schienenverkehr hat die Deutsche Bahn ein eigenes Beschwerdemanagement.

Steht ein Umzug an, sollte man bei der Besichtigung auch auf den Umgebungslärm achten. Es kann sinnvoll sein, zur Hauptverkehrszeit wiederzukommen, da dann der Lärmpegel deutlich ansteigen kann. Bei punktuellem Lärm kann ein Gehörschutz vorübergehend Linderung verschaffen, zum Beispiel schalldämmende Kopfhörer oder Ohrstöpsel. Dabei gilt: Individueller Gehörschutz dämmt besser als Ohrstöpsel aus der Drogerie oder Apotheke. Außerdem führen sie nicht zu Druckstellen und Entzündungen, vor allem, wenn sie regelmäßig über Nacht getragen werden.

Bleibt der Lärm trotz dieser Schritte belastend, rät Kardiologe Münzel zu Maßnahmen, um die gesundheitlichen Schäden zu minimieren. „Regelmäßiger Sport hilft, weil er die Gefäße elastisch hält, Stress abbaut und den Blutdruck senkt“, sagt Münzel. Außerdem könne ein sogenanntes Resilienztraining helfen, besser mit dem Lärm in der Umgebung umzugehen und sich dadurch weniger stressen zu lassen. Informieren Sie sich bei Ihrer Krankenkasse nach Angeboten in Ihrer Nähe oder online.