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Schätzungsweise eine Million Menschen in Deutschland leiden an einer Pornografie-Nutzungsstörung – kurz Pornosucht. Bislang gibt es kaum wissenschaftlich fundierte Behandlungskonzepte für diese Erkrankung. Das Forschungsprojekt „PornLoS“ will mit einer speziellen Therapie helfen.

Was ist eine Pornografie-Nutzungsstörung?

Die Pornografie-Nutzungsstörung, kurz Pornosucht, ist eine psychische Erkrankung, die aber erst seit 2019 offiziell anerkannt ist. In der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) wird sie als zwanghaftes Sexualverhalten unter den Impulskontrollstörungen aufgeführt.

Die Dauer oder Häufigkeit des Pornografiekonsums spielt bei der Erkrankung allerdings nur eine untergeordnete Rolle, sagt Professor Dr. Rudolf Stark. Der Psychologe forscht seit mehr als 15 Jahren an der Universität Gießen zum Thema Pornografiekonsum. Entscheidend für die Diagnose sei der Kontrollverlust. Die Betroffenen können ihren Konsum nicht einschränken, obwohl sie darunter leiden. Eine „Pornosucht“ entwickelt sich schleichend über mehrere Jahre. Laut Stark kann die Erkrankung häufig auch zu Depressionen führen.

Wie viele Menschen sind von der Pornosucht betroffen?

Fast 90 Prozent der Männer und 60 Prozent der Frauen zwischen 18 und 30 Jahren dürften 2023 Pornografie genutzt haben, sagt Stark. Nur ein Bruchteil davon entwickelt eine Pornosucht. Laut Stark sind drei Prozent der volljährigen Männer und knapp ein Prozent der Frauen betroffen. Insgesamt leiden in Deutschland also vermutlich rund eine Million Menschen an der Krankheit.

Ob tatsächlich weniger Frauen betroffen sind, oder ob sie nur weniger Pornografie konsumieren oder sich seltener professionelle Hilfe suchen als Männer, können die Forscherinnen und Forscher noch nicht beantworten.

Handelt es sich bei Pornosucht um ein neues Phänomen?

Pornosucht gibt es, seit es Pornografie gibt. Durch Internet und Smartphones sind pornografische Filme jedoch leichter verfügbar als früher, wodurch die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer in den letzten Jahren gestiegen ist. Das habe auch die Pornosucht begünstigt, sagt Stark.

Die langfristigen Folgen für junge Menschen können die Forscherinnen und Forscher noch nicht abschätzen. Der Psychologe vermutet aber: Je früher Jugendliche mit dem Konsum beginnen, desto höher sei das Risiko, später eine Pornografie-Nutzungsstörung zu entwickeln.

Wie erkenne ich, ob ich betroffen bin?

Die Dauer oder Häufigkeit des Pornografiekonsums ist für die Diagnose nicht entscheidend. Laut Stark gibt es Menschen, die Pornografie konsumieren, ohne abhängig zu sein, und andere, die Pornografie nur wenig konsumieren und abhängig werden. Neben dem Kontrollverlust treten weitere Symptome auf: Der Konsum wird für die Betroffenen zum Lebensmittelpunkt. Sie können Aufgaben nicht rechtzeitig erledigen oder vernachlässigen soziale Kontakte, weil sie pornografische Filme schauen oder ihre Gedanken ständig darum kreisen.

Auch das Sexualleben kann unter dem Konsum leiden. Auf der Internetseite des Forschungsprojektes „PornLoS“ (Pornografie-Nutzungsstörung effektiv behandeln – Leben ohne Suchtdruck) gibt es einen anonymen Selbsttest. Er hilft, das eigene Konsumverhalten besser einzuschätzen.

Was kann man gegen eine Pornosucht tun?

Betroffene können sich an Beratungsstellen wie die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen oder den Hausarzt wenden. Die psychotherapeutische Versorgung sei bislang allerdings schlecht, sagt Stark. Was genau bei der Therapie der Pornosucht hilft, darüber weiß die Forschung noch wenig.

Das Forschungsprojekt „PornLoS“, das Stark seit Juli 2023 leitet, soll das ändern. Darin wird zunächst in den drei Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland ein neues psychotherapeutisches Angebot erprobt. Das Projekt wird für dreieinhalb Jahre mit insgesamt rund 5,3 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert. Laut Stark wurden bisher 150 niedergelassene Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten geschult. Rund 310 Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden in der Studie zufällig auf vier Behandlungspfade verteilt. Ein Weg verfolgt beispielsweise das Therapieziel „Abstinenz“, ein anderer die Reduktion des Konsums. Das Forschungsprojekt kombiniert Einzel- und Gruppenpsychotherapie.

Verläuft die Studie erfolgreich, sollen die Therapieformen bundesweit angeboten und in die Regelversorgung übernommen werden. Versicherte aller gesetzlichen Krankenkassen können an der Studie teilnehmen und sich direkt auf der Projektseite anmelden.


Quellen:

  • Justus-Liebig-Universität Gießen: Sexsüchtiges Verhalten und unkontrollierbarer Pornografiekonsum. Online: https://www.uni-giessen.de/... (Abgerufen am 11.04.2024)
  • Martyniuk U, Dekker A: Pornografienutzung von Erwachsenen in Deutschland, Ergebnisse einer Pilotstudie. In: Zeitschrift für Sexualforschung 24.09.2018, 31-03: 237-249
  • Grocholewski A: Neue Störungsbilder der ICD-11, Die Olfaktorische Referenzstörung und die zwanghafte sexuelle Verhaltensstörung. In: Psychotherapeuthen journal 16.03.2022, 1-2022: 18-23
  • Klein S, Krikova K, Antons S et al.: Reward Responsiveness, Learning, and Valuation Implicated in Problematic Pornography Use, a Research Domain Criteria Perspective. In: Current Addiction Reports 11.07.2022, 9: 114-125
  • Gemeinsamer Bundesausschuss: PornLoS – Pornographie-Nutzungsstörung effektiv behandeln, Leben ohne Suchtdruck. Online: https://innovationsfonds.g-ba.de/... (Abgerufen am 11.04.2024)