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Eine junge Amerikanerin strahlt auf der Videoplattform TikTok in die Kamera. „Ich wurde mit Ozempic schwanger“, sagt sie – und ist mit ihrer Überraschungsschwangerschaft offenbar nicht allein. In der amerikanischen Zeitung „USA today“ berichten auch Reproduktions- und Adipositasexpertinnen und -experten von Patientinnen, die während ihrer Behandlung mit dem Wirkstoff Semaglutid ungeplant schwanger wurden.

In Deutschland lässt sich dieser Trend nicht bestätigen. „Bislang liegen der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) keine Meldungen dazu vor“, sagt Dr. Ursula Sellerberg, Pressesprecherin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Und auch Prof. Holger S. Willenberg, Leiter der Sektion für Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten der Universitätsmedizin Rostock, hatte bisher noch keine Patientin, die während der Behandlung mit dem Diabetesmittel schwanger wurde. „Aber vorstellbar wäre das grundsätzlich schon!“, sagt er.

Übergewicht erschwert, schwanger zu werden

Der Hersteller von Ozempic schreibt in der Fachinformation: „Es ist nicht bekannt, ob Semaglutid eine Auswirkung auf die menschliche Fertilität hat.“ Das heißt: In den Studien hat sich keine erhöhte Fruchtbarkeit der Teilnehmerinnen gezeigt. Eine indirekte Wirkung wäre dennoch möglich. „Je schwerer übergewichtig eine Frau ist, desto höher ist ihr Risiko, dass sie nicht schwanger werden kann“, sagt Prof. Nicole Sänger, Direktorin der Klinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Universitätsklinikum Bonn. „Das liegt unter anderem an der Stoffwechselaktivität des Bauchfettgewebes, das den Hormonhaushalt durcheinanderbringt und einen unregelmäßigen Zyklus zur Folge haben kann.“

So tritt zum Beispiel das sogenannte Polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) bei Frauen mit Übergewicht und Diabetes häufiger auf als bei normalgewichtigen Frauen. Das ist eine komplexe Störung des hormonellen Regelkreises, bei der es seltener zum Eisprung kommt. Erst kürzlich ist eine Studie erschienen, die den Zusammenhang zwischen einem höheren Taillenumfang und einer geringeren Fruchtbarkeit belegt. Demnach steigt mit jedem Zentimeter mehr Taillenumfang das Risiko der Unfruchtbarkeit um 3 Prozent.

Daher ist es durchaus vorstellbar, dass ein Abnehmmittel die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft bei übergewichtigen Frauen erhöht. „Durch die Gewichtsabnahme kann sich der Zyklus regulieren und dann auch wieder ein regelmäßiger Eisprung stattfinden“, erklärt Prof. Sänger.

Beeinträchtigt Semaglutid die Wirksamkeit der Pille?

Bislang konnte ein direkter Einfluss des Ozempic-Wirkstoffs Semaglutid auf Kontrazeptiva wie die Pille nicht nachgewiesen werden. Der Hersteller schreibt dazu: „Eine verminderte Wirkung oraler Kontrazeptiva durch Semaglutid wird nicht erwartet.“ Es wird derzeit aber auch über eine indirekte Wirkung diskutiert. Semaglutid sorgt unter anderem dafür, dass der Mageninhalt sich langsamer in den Darm entleert. Dadurch könnte eventuell die Wirkung oral eingenommener Medikamente – wie der Antibabypille – herabgesetzt werden.

Das sind bislang allerdings nur Vermutungen. „Hier gibt es noch zu wenige Daten“, sagt auch Prof. Willenberg. „Da wird noch weitere Forschung nötig sein.“ Hersteller vergleichbarer Medikamente raten – zumindest in der Anfangszeit der Behandlung – zu einer zusätzlichen Verhütung.

Semaglutid in der Schwangerschaft ungeeignet

In Studien an Ratten, Kaninchen und Javaneraffen kam es unter der Behandlung mit Semaglutid vermehrt zu Fehlgeburten und Geburtsfehlern. Studien an Menschen liegen zwar nicht vor, allerdings kann eine Auswirkung von Semaglutid auf den menschlichen Fötus nicht ausgeschlossen werden.

„Wir besprechen das auch mit unseren Patientinnen, dass sie während der Behandlung mit Ozempic und ähnlichen Präparaten unbedingt auf eine sichere Verhütung achten sollen“, sagt Prof. Willenberg. „Sollten sie den Wunsch haben, schwanger zu werden, stellen wir auf anderes Wirkprinzip um.“ Die Umstellung sollte mindestens zwei Monate vorher erfolgen, ehe eine Frau versucht, schwanger zu werden. Der Experte ergänzt: „Wobei man sagen muss: Unsere Patientinnen mit Diabetes mellitus Typ 2 sind meist über 40. Einen Ozempic-Hype wie es ihn in den USA gibt, erleben wir hier ohnehin nicht. Schon deshalb sind diese ungewollten Schwangerschaften bei uns viel weniger ein Thema.“


Quellen:

  • Jierong K., Yuntian F., Zhiyun C.; PLOS ONE,: Association between waist circumference and female infertility in the United States. Online: https://journals.plos.org/... (Abgerufen am 11.04.2024)
  • Camero K.: 'Ozempic babies' are surprising women taking weight loss drugs. Doctors think they know why.. Online: https://eu.usatoday.com/... (Abgerufen am 11.04.2024)